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Von der Tragik, voraus zu sein

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Es war Achim von Arnim, der in einem Brief aus dem Jahr 1806 an Bettina von Brentano über den Selbstmord der Karoline von Günderode treffend klar schrieb: „Wir konnten ihr nicht genug geben, um sie hier zu fesseln, nicht hell genug singen..."

Der Dichter erkannte intuitiv und vermutlich als einziger Mann ihres Bekanntenkreises die Schuld der Umwelt an diesem zweifelsfrei „einzelnen, eigentümlichen Wesen". In biographischen Fakten gesehen, war das Leben der Dichterin und Philosophin Karoline von Günderode (1780-1906) ein vereinsamtes und für sie in jeder Hinsicht beengendes. Aus einem verarmten Adelsgeschlecht stammend, wurde die in Karlsruhe geborene bereits als 17jährige in ein evangelisches Damenstift in Frankfurt am Main abgeschoben. Für ein normal bürgerliches, konventionelles Eheleben fühlte sie sich nicht geeignet, die Geniale wollte schreiben, nicht nur in den üblichen literarischen Gattungen, sondern auch in philosophischen Abhandlungen. Sie legte die Ideen einer kosmischen Universal welt jenseits des abendländischen Rationalismus dar. Wie unüblich für eine Frau in der Romantik!

Vor den betont metaphysischen Ansätzen der Kränkelnden schreckt auch der von ihr so geliebte, verheiratete Altertumswissenschaftler Georg Friedrich Creuzer zurück. Die Auflösung des Verhältnisses läßt Karoline ihr Leben durch einen Dolchstoß beenden.

Diese Briefe, von, an und über Karoline von Günderode, zusammen mit der geglückten Einleitung von Birgit Weißenborn, dient nicht nur zur Darstellung eines erschütternden, exemplarischen Frauenschicksals um 1800, sondern es zeigt auch das zeitlose Wechselspiel zwischen Faszination und Angst den Menschen gegenüber, die sich aus der Norm herausstellen.

Seit den siebziger Jahren unseres Jahrhunderts versucht die Frauenbewegung auf die Günderode als Identi-fikationsfiguraufmerksam zu machen, doch die Leidensfähigkeit dieser Frau kann Interesse weit darüber hinaus beanspruchen.

„ICH SENDE DIR EIN ZÄRTLICHES PFAND". Die Briefe der Karoline von Günderode. Herausgegeben von Birgit Weißenborn. Insel Verlag, Frankfurt/Main 1992.411 Seiten, öS 310,40.

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