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Walther von der Vogelweide und sein Mythos

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Walther von der Vogelweide galt und gilt als der größte Lyriker deutscher Zunge vor Goethe. Auch mit dem religiös bestimmten „Leich", der sprachlich einer liturgischen Sequenz ähnlich ist, wirkte er beispielgebend.

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Walther von der Vogelweide galt und gilt als der größte Lyriker deutscher Zunge vor Goethe. Auch mit dem religiös bestimmten „Leich", der sprachlich einer liturgischen Sequenz ähnlich ist, wirkte er beispielgebend.

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Die Unbeständigkeit seiner politischen Überzeugung wurde öfter auch kritisch beurteilt, doch aus seinen kärglichen Lebensumständen heraus letztlich erklärt und toleriert. Nur in der eigentlich zweitrangigen Frage nach Walthers Geburtsheimat prallten die Meinungen aufeinander. „Gotteswort und Gelehrtenstreit dauern fort in Ewigkeit", zitierte der gebürtige Südtiroler Josef Neumair 1930 ein Tiroler Sprichwort und stellte in den Österreichischen Monatsheften (Nr. 30/S. 203) gleich eingangs die Südtiroler Herkunftsthese in Frage. Drei Landstriche gelten heute als mögliche Walther-Heimat: Südtirol, Franken und immer mehr das niederösterreichische Waldviertel.

Alfred Ebenbauer, Mediävist und derzeit Rektor der Universität Wien, hat im Heft 4/1991 der Zeitschrift „Das Waldviertel" den neuesten Stand „Zur Suche nach der Heimat Walthers von der Vogelweide" gründlich behandelt. In demselben Heft berichtete auch Ralph Andraschek-Holzer über Bernd Thums Interpretation der „Alterselegie" beim internationalen Walther-Symposion am 1. und 2. Oktober 1988 in Traunstein und Zwettl. Erstmalig hat Bernd Thum (Karlsruhe - Heidelberg) seine Thesen über die Herkunft Walthers aus dem Waldviertel im Katalog der Kuenringer-Ausstellung in Zwettl 1981 vertreten. Nach dieser Theorie besuchte Walther gegen Ende seines Lebens nach langer Zeit wieder seine Geburtsheimat. Er sollte bei der ritterlichen Jugend für die Teilnahme am Kreuzzug des gebannten Kaisers Friedrich II. werben. Doch Land und Leute waren dem weitgereisten Walther fremd geworden. Um 1228 gab es durch die Rodung der Wälder stark veränderte Verhältnisse, vor allem im Waldviertel.

Den Ansichten Bernd Thums kamen die Ergebnisse zweier Lokalforscher entgegen. Helmut Hörner hat schon 1974 das Buch „800 Jahre Traunstein" herausgebracht, in dem

ein Kapitel die damals als provokant empfundene Überschrift trug „Stammte Walther von der Vogelweide aus Traunstein?" Hörner konnte glaubhaft machen, daß ein noch 1556 und 1751 „Vogelwaidt" oder „Vogel-wayd" genannter Hof mit dem noch heute „Waid" genannten Gehöft identisch ist. Walter Klomfar fand als Ergebnis seiner Wüstungsforschungen „Die Vogelweide von Walthers bei Allentsteig" (DasWaldviertel, 1987, S. 209-217), auf die Josef Lampel schon 1892 hingewiesen hatte. Beide Lokalforscher konnten über ihre Ergebnisse bei Exkursionen im

Rahmen des Symposions 1988 berichten. Die Widersprüche in den Ergebnissen der beiden Lokalforscher Hörner und Klomfar, die beide von Bernd Thum sehr ernst genommen wurden, beeinträchtigten nicht seine Schlüsse aus der Alterselegie: „Bereitet ist das velt, verhouven ist der walt." Jedenfalls ist die Beweislage für Franken und Südtirol keineswegs günstiger als für das Waldviertel.

Die Tiroler lieben Walther

Das Bewußtsein der Öffentlichkeit hinsichtlich der Heimat Walthers ist in Österreich noch unsicher und skep-

tisch. Mit Bescheidenheit allein kann das wohl nicht erklärt werden. Der Hauptgrund dürfte viel mehr in der sehr erfolgreichen, aber unkritischen Durchsetzung der Südtirol-These in der Zeit zwischen der Auffindung der Vogelweid-Höfe im Lajener-Ried im Jahre 1867 und der Errichtung des Walther-Denkmals in Bozen (1889) liegen. Denn „nirgendwo sonst hat der Versuch der Walther-Beheimatung eine so heftige Gefühlsbewegung und so starkes Echo ausgelöst wie gerade in Tirol", gestand der Südtiroler Gymnasialdirektor Georg Mühlberger in seinem Referat „Walther und sein Mythos in Südtirol" beim internationalen Symposion in Klausen 1988. Mühlberger räumte auch ein: „Die Diskussion über die Heimatfrage trat nach der Denkmalerrichtung wieder hinter anderen Themen zurück. In der populären Diskussion aber hatte sich inzwischen der Anspruch Tirols auf Walther von der Vogelweide durchgesetzt." Mühlber-gers Referat wurde unter anderem im Berichtsband über das Klausener Symposion (Stöffler & Schütz Verlag, 1989) veröffentlicht.

Erwähnt sei auch die kluge Zurückhaltung, mit der der, Arbeitskreis Walther von der Vogelweide" in Klausen das Symposion 1988 vorbereitete, ohne auf die heimatkundliche Überlieferung zu verzichten: „Sage, Legende und Wissenschaft verquickten sich zu einer zumindest reizvollen Mischung", beurteilten die Veranstalter die Frage nach Walthers Geburtsort aus Südtiroler Sicht.

Die Tatsache, daß zur selben Zeit unabhängig voneinander zwei Symposien zu derselben Person stattfanden, ist nicht nur ein Beispiel für die Duplizität der Ereignisse, sondern auch ein Beweis für die Aktualität Walthers von der Vogelweide. Im Waldviertler Symposion sollte der hohe Grad der Wahrscheinlichkeit der Abstammung des Dichters aus dem Waldviertel aufgezeigt werden, was man sich besonders von Thum erwartete. Ebenbauer gestand in der Diskussion, daß ihm die Ansicht Thums die „sympathischste" unter allen Herkunftshypothesen wäre.

Dem Klausener Berichtsband ist ein Abschnitt der Habilitationschrift von Bernd Ulrich Hucker mit dem Titel „Ein zweites Lebenszeugnis Walthers?" vorangestellt. Das erste Lebenszeugnis ist die in Zeiselmauer

erfolgte Schenkung eines relativ hohen Geldbetrags für einen Pelzmantel an den „Sänger" Walther durch Bischof Wolfger von Erla. Hucker identifiziert einen später „Herrn" Walther genannten Mann, der dem späteren Patriarchen Wolfger von Aquilea als „Gesandter" dienstbar war, mit dem Sänger. So interessant diese Ansicht für die Biographie Walthers sein mag, so wenig trägt sie zur Entscheidung der Frage nach der Herkunft des Dichters bei. Immerhin beweist Huckers Beitrag, daß auch heute noch neue Ergebnisse zu seiner Biographie erwartet werden können.

Die Walther-Wanderwoche

Weil Walther nicht aus einem reichen Hause stammte, konnte er sich seiner Herkunft nicht rühmen. Wie viele nach ihm ging er zunächst nach Wien und dann in die Welt.

Der Tatsache, daß der mittelalterliche Dichter wieder stärker ins Bewußtsein der (österreichischen) Öffentlichkeit getreten ist, trägt auch das Bildungshaus StiftZwettl mit einer vom 24. - 30. August angesetzten Wanderwoche unter dem Motto „Auf den Spuren Walthers von der Vogelweide" Rechnung. Am 29. August werden beim Walther-von-der-Vogelweide-Wandertag zwei Gedenksteine enthüllt werden: Um 17 Uhr auf der Vogelweide bei Walthers (an der Bahnlinie Schwarzenau-Zwettl), am 30. August um 16 Uhr an der Donaulände vor der Ruine Weitenegg. Dort hat einer sagenhaften Überlieferung zufolge Walther die Alterselegie vollendet.

Diese außerwissenschaftlichen Aktivitäten werden aber auch von wissenschaftlicher Seite akzeptiert: So meint Alfred Ebenbauer: „Walther ist nicht nur eine geschichtliche Gestalt, sondern er ist durch seine Gedichte zu einer mythischen Figur geworden... Walther von der Vogelweide verdient auch nach 700 Jahren noch, gelesen und verehrt zu werden. Das Bestreben aber, den großen Dichter für den eigenen Kulturraum zu gewinnen, das Ziel, historische Kontinuität herzustellen, sollte nicht als lokalpatriotisch desavouiert werden. Wenn wir Walther ,zu uns' zählen können, so darf uns das mit berechtigtem Stolz erfüllen. Wer es mit Recht kann, müssen weitere Untersuchungen zeigen." (Das Waldviertel, Heft 4/1991, S. 315).

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