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Was heißt schon Entspannung?

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Es gibt keine Alternative zur Entspannung?

Wieso?

Es gäbe den Krieg, es gäbe den Kalten Krieg, es gäbe die sogenannten Einfrierungen. Man muß nicht dafür sein, aber es gibt sie.

Eigentlich gibt es ja gar keine Entspannung schlechthin. Es gibt ein Vielerlei von Spannungen. Und Entspan nung wäre eigentlich das Umschalten von einer bestimmten Spannung auf eine andere bestimmte Spannung.

Entspannung bedeutet: Eben war noch mehr Spannung, jetzt ist weniger Spannung. Gar keine Spannung wäre: Friede. Und den gibt es vorläufig nicht.

Zur Entspannung gehören immer zwei. Das Seil kann noch so locker baumeln, wenn ich an einem Ende fest ziehe, ist’s aus mit der Entspannung. Und wenn der am anderen Ende sagt: „Ich bin nach wie vor für die Entspannung”, bewirkt er damit nichts. Und wenn er sagt: „Es gibt keine Alterna tive zur Entspannung”, ist er entweder verlogen oder weltfremd oder dumm.

Bogenschützen und Geiger sind gegen die Entspannung. Auch Autoren von Kriminalromanen sind auf Spannung angewiesen. Und wenn man täglich, an Sonn- und Feiertagen zweimal täglich, proklamiert: „Ich bin für die Entspannung, denn es gibt keine Alternative zur Entspannung”, ist man wie ein Arzt, der angesichts einer In fektion sagt: „Ich bin gegen die Infektion!”

Wie ein kleiner Bruder, den der große Bruder geohrfeigt hat, und der die Hände in den Schoß legt und stolz ausruft: „Ich bin gegen die Gewalt!”

Wie ein Vertragspartner, der angesichts eines Vertragsbruchs ausruft: „Es gibt keine Alternative zur Vertragstreue!”

Entspannung ist kein Zustand, sondern ein Vorgang. Entspannung ist auf Spannung angewiesen.

Sonst hieße sie nicht Entspannung, sondern Ruhe, Flaute, Schlaffheit, Weichheit, Inaktivität.

Neulich hab’ ich im Radio gehört, daß einer „die Entspannung ausbauen” wollte. Wie macht man das?

Eine Verminderung vermehren? Eine Substraktion addieren? Eine Erniedrigung erhöhen? Eine Zurückhaltung vorantreiben? Eine Schwächung stärken?

Ich führe einen langwierigen, aufreibenden, komplizierten Prozeß. Ich möchte mich gern meinen anderen Pflichten und Interessen widmen. Ich bin bereit, mich mit meinem Gegner auszugleichen. Ich will nicht weiter prozessieren… aber sage ich das meinem Gegner? Und wäre ich tausendfach zu Konzessionen und zum Ausgleich entschlossen: würde ich sofort sagen, daß ich mich um jeden Preis ausgleichen werde?

Fragen Sie jeden beliebigen Anwalt, ob es in einem solchen Fall richtig, ob es geboten, ob es auch nur denkbar wäre, zu verkünden: „Es gibt keine Alternative zur Entspannung!”?

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