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Weltgeschichte(n)

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„Wo sind die Berichte des Werkmeisters, der einmal im Monat die Reichsbrücke überprüfte?“ fragte die Öffentlichkeit.

„Er hat mündlich berichtet, daß eh alles in Ordnung ist, aber des hamma net aufg'schrieb'n“, sagte die Obrigkeit.

„In Ihrer Steuererklärung für das Jahr 1970“, sagte der Herr vom Finanzamt zum Kleingewerbetreibenden, dessen Betrieb er zu überprüfen hatte, „führen Sie Rechtsanwaltskosten in der Höhe von 2134 Schilling und 78 Groschen an. Kann ich den Beleg sehen?“

„Bitte sehr, selbstverständlich, hier ist er“, sagte der Kleingewerbetreibende und reichte dem Herrn vom Finanzamt einen aufgeschlagenen Ordner.

„Über die Reparatur Ihres Lieferwagens im März 1971 hätte ich auch

gerne die Rechnung gesehen“, sagte der Herr vom Finanzamt.

„Bitte sehr, selbstverständlich, hier ist sie“, sagte der Kleingewerbetreibende und reichte einen anderen aufgeschlagenen Ordner über den Tisch.

„Fräulein“, sagte der technische Betriebsdirektor am Telephon zu einer Sachbearbeiterin, „seien Sie doch bitte so nett und suchen Sie mir die Unterlagen über die technische Sicherheitsüberprüfung unseres Elektrogerätes M 234 heraus!“

„Die sind im Keller abgelegt“, antwortete die Sachbearbeiterin, „hat es bis nach dem Essen Zeit?“

„Selbstverständlich“, sagte der technische Betriebsdirektor, „aber gleich nach dem Essen brauche ich sie wirklich!“

„Wird gemacht!“ sagte die Sachbearbeiterin.

„Wann wurde die letzte umfassende technische Überprüfung der Reichsbrücke durchgeführt?“ fragte die Öffentlichkeit.

„Das wissen wir leider nicht“, sagte die Obrigkeit.

„Und wer weiß es?“ fragte die Öffentlichkeit.

„Das wissen wir leider auch nichV, sagte die Obrigkeit.

„Herr Meier“, sagte der Firmenchef, „wo sind eigentlich die Akten

über unseren seinerzeitigen Prozeß mit der Firma X?“

„Da die Geschichte zehn Jahre zurückliegt“, sagte der Herr Meier zu seinem Chef, „habe ich sie zwecks Platzersparnis vernichten lassen.“

„Sind sie photokopiert?“ fragte der Firmenchef.

„Selbstverständlich“, sagte der Herr Meier. „Wenn Sie sie sehen wollen, holen wir die Filmrolle aus dem Archiv!“

„Wo sind die genauen Aufzeichnungen über sämtliche Überprüfungen und Reparaturen an der Flo-ridsdorfer Brücke?“ fragte die Öffentlichkeit.

„Sowas gibt es doch nicht!“ sagte die Obrigkeit.

„Wo ist der Ordner mit allen Meldungen über den fortschreitenden Verfall der Philadelphiabrücke?“ fragte die Öffentlichkeit.

„Wenn es sov>as gäbe, dann wäre sie nicht verfallen, aber ich bin dafür nicht verantwortlich“, sagte die Obrigkeit.

„Sie haben laut Steuererklärung“, sagte der Herr vom Finanzamt zum Dichter, „im Jahre 1972 eine Schreibmaschine für 2000 Schilling gekauft. Wo ist die Rechnung?“

„Die habe ich leider verloren“, sagte der Dichter.

„Dann müssen Sie die Steuer für diese 2000 Schilling nachzahlen, und

bestrafen muß ich Sie auch noch“, sagte der Herr vom Finanzamt.

„Wieso haben Sie diesen Bolzen nicht ausgewechselt, obwohl er bereits 1S4 statt der vorgeschriebenen 100 Flugstunden hinter sich hat?“ fragte nach einem Flugzeugabsturz der technische Leiter einer der kleineren und weniger verläßlichen Charterfluggesellschaften einen Werkmeister.

„Ich habe es vergessen“, sagte der Werkmeister, „aber der Bolzen hatte

doch mit dem Unfall nicht das Geringste zu tun!“

„Trotzdem sind Sie gefeuert“, sagte der technische Leiter.

„Was sagen Sie zu diesem Skandal?“ fragte nach dem Einsturz der Reicltsbrücke die Öffentlichkeit.

,Jch bin nicht schuld“, sagte die Obrigkeit, „ich habe einmal monatlich mit Wohlgefallen auf die Reichsbrücke geschaut, und ein besseres Überprüfungsverfahren gibt es nirgends auf der Welt.“

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