„Herr Abgeordneter“, sagte der Mann vom unabhängigen und objektiven Massenmedium, „wann treten Sie denn endlich zurück?“
„Ich habe nicht die Absicht“, sagte der interviewte Politiker. Man schrieb das Jahr 1984. Orwells Jahr.
„Soso“, sagte der Redakteur, ,,Sie haben doch total und auf der ganzen Linie versagt, und niemand wird Sie wählen!“
„Wer sagt denn das?“ fragte der interviewte Politiker, und die ersten Schweißperlen traten auf seine Stirn.
„Hier frage ich und Sie antworten“, sagte objektiv und unabhängig der Interviewer, „reißen Sie sich gefälligst zusammen und sagen Sie
mir: Wie konnten Sie überhaupt in die Politik gehen? Sie mögen ja recht intelligent und privat auch ganz sympathisch sein, aber Sie haben doch überhaupt keine Durchschlagskraft, keine Ausstrahlung. Wann gehen Sie endlich?“
„Wie kommen Sie“, sagte der mittlerweile schweißüberströmte Politiker, „dazu, mir solche Fragen zu stellen“?
„Daß Sie selber so fragen, sagte der Journalist milde, „beweist, daß Sie schon seit acht Jahren schlafen. Das ist doch der neue, kesse, dynamische, massenwirksame Journalismus! Also, wann treten Sie zurück?“
Man schrieb Orwells Jahr. 1984. Oder auch ein bisserl früher.
„Aha“, sagte der Personalchef, „Sie wollen Minister werden. Welche Fähigkeiten bringen Sie mit?“
„Ich bin bereit, treu und gehorsam meinen Aufgaben nachzukommen und nicht viel zu fragen“, sagte bescheiden der Kandidat.
„Wie steht es mit Ihren Überzeugungen?“ fragte der Personalchef.
„Die habe ich bei der Geburt abgegeben“, sagte der Kandidat.
„Blutgruppe?“ sagte der Personalchef.
„Doppelnull“, sagte der Kandidat, „macht das etwas?“ „Im Gegenteil“, sagte der Perso-
nalchef, „diese Blutgruppe ist unabdingbare Voraussetzung für ein so hohes Amt. Sind Sie Parteimitglied?“
„Ja, seit gestern“, sagte der Kandidat.
„Großartig“t sagte ■ der Personalchef, „und was waren Sie vorgestern?“
„Vorgestern habe ich für die Partei der aufrechten Recken kandidiert, aber leider bin ich nicht gewählt worden. Daraufhin habe ich meinen Austritt angemeldet und bin zu Ihnen gekommen. Habe ich Chancen auf die Ministerstellung?“
„Chancen?“ rief freudig erregt der Personalchef, „Sie sind engagiert!“
Man schrieb Orwells Jahr. 1984. Oder vielleicht auch ein bisserl früher.
„Du hast einen Freund verraten, verantworte dich!“ sagte der Parteifreund zum Parteifreund und richtete das Licht der Schreibtischlampe auf dessen Gesicht. Schließlich schrieb man das Jahr 1984.
„Aber er hat doch silberne Löffel gestohlen!“ sagte der Angeklagte.
„Na und?“ sagte der Parteifreund zum Parteifreund, schließlich hat er angedeutet, daß es ihm leid tut. Du aber hast ihn mit der Behauptung, er habe Fehler begangen, erniedrigt, durch den Kot gezerrt, verleumdet, bloßgestellt, du hast dem politischen
Gegner genützt, du bist ein übles Subjekt.“
„Aber wenn einer silberne Löffel stiehlt, muß man ihn doch kritisieren?“ sagte der Verräter.
„Verstockt auch noch“, sagte der Parteifreund zum Parteifreund, „ver-
stockt, uneinsichtig, nicht bereit, einzusehen, daß du gefehlt hast Atter wenn du niederkniest und um Verzeihung bittest, sind wir auch mit dir wieder gut.“
Man schrieb das Jahr 1984. Orwells Jahr. Oder früher?
