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Zeitgenosse

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Mit dem hauchdünnen Vorsprung von nur einer Stimme (41 zu 40) wurde DDr. Werner Melis, Jahrgang 1935, zum neuen Generalsekretär des Österreichischen Akademikerbundes gewählt. „Ein knapper Wahlausgang“, sagt der in der Bundeswirtschaftskammer beschäftigte Werner Melis, „verpflichtet, erst recht dann, wenn es sich um eine so große und schwierige Aufgabe handelt.“

Tatsächlich kämpft der österreichische Akademikerbund mit erheblichen Schwierigkeiten: Er verfügt über keine nennenswerten Geldmittel, ist personell unterdotiert, hat Sorgen mit seiner Unterkunft, hat es auch nicht leicht, mit seinen tatsächlichen und potentiellen Mitgliedern zu kommunizieren. Das ist, wie überall, eine Frage der Organisation und des Geldes, weil Öffentlichkeitsarbeit, Zeitschriften („Politische Perspektiven“), Veranstaltungen und die Mitgliederbetreuung viel Geld kosten. Geld, das sich Generalsekretär Melis nun aufzubringen bemühen muß.

Kaum Schwierigkeiten hat dagegen der österreichische Akademikerbund mit seinem Selbstverständnis. Er fühlt sich, wie es Werner Melis formuliert, als das „liberale Gewissen der österreichischen Volkspartei, als Auffanglager für jene intellektuellen Schichten, die wohl den Weg zur Politik, nicht aber gleich den Weg zu einer bestimmten Partei suchen“. Dieses Selbstverständnis soll erhalten und gefestigt werden. „Wir wollen uns zunächst auf einige, aber doch wesentliche Sachfragen der Politik konzentrieren, in Arbeitsgruppen eigenständige Vorschläge ausarbeiten und damit an die Öffentlichkeit treten.“ Dabei kann es schon vorkommen, daß der Akademikerbund Meinungen vertritt, die vom Standpunkt der Volkspartei abweichen. „Ohne Demokratie ist Meinungspluralismus und ohne Meinungspluralismus Demokratie unmöglich“, sagt Generalsekretär Werner Melis, der im Akademikerbund die Diskussion über ideologische Haltungen und Werte intensivieren möchte. Dafür, so glaubt er, gibt es gerade unter den Akademikern in diesem Land, gleichgültig, auf welcher politischen Seite sie stehen, ein echtes Bedürfnis. Und unabhängig von ihrer parteipolitischen,Bindung oder Sympathie tendieren sie zu bürgerlichen Tugenden, wie Freiheit, Unabhängigkeit, Individualität, Leistung, marktwirtschaftliche Konkurrenz, und sind gegen sozialistische Vorstellungen, wie Gleichheit, Vermassung, Abhängigkeit, Nivellierung.

Der Geschäftsführer des österreichischen Nationalkomitees der Internationalen Handelskammer und Autor eines Buches über „Österreichs Wirtschaftsbeziehungen zu den Entwicklungsländern“ ist nicht Mitglied der österreichischen Volkspartei. So nahe immerhin, daß er mit Freunden aus dem Wiener Akademikerbund der ÖVP ein praktikables Vorwahl-Modell, das schließlich vor den Nationalratswahlen 1975 in ganz Österreich realisiert wurde, vorgeschlagen und durchgesetzt hat. Mit ähnlichen Vorschlägen will der Akademikerbund aJuch in den nächsten Jahren auf die Volkspartei einwirken. Werner Melis scheut nicht das Risiko des Mißerfolges, akzeptiert auch, daß eine Wählerpartei einen größeren Kreis im Auge behalten muß, als es die österreichischen Akademiker sind.

Werner Melis ist Realist genug, den Akademikerbund nur als einen kleinen Teil des Ganzen zu beurteilen. Freilich: als einen Teil, der Meinung und Stimmung macht; als einen Teil auch, dessen Mitglieder und Mitarbeiter Individualisten genug sind, sich dann, wenn ihnen die Richtung nicht paßt, von dieser und ähnlichen Organisationen loszusagen. In der aktuellen Situation hofft Generalsekretär Werner Melis, daß dies vor allem der österreichischen Volkspartei und ihrem liberalen Gewissen, dem Akademikerbund, zugute kommt. Deshalb heißt es für den neuen Generalsekretär, die Stimmung nützen, „wenn es auch noch so viel Energien kostet und wenn sich auch Enttäuschungen nicht vermeiden lassen“^

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