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ZWISCHEN BUCHERN IN WOHNZIMMERATMOSPHÄRE

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„Chaj" (Leben) heißt sie, die jüdische Buchhandlung, im zweiten Wiener Gemeindebezirk, Lessinggasse 5. Und sie ist etwas Besonderes, auch für religiös nicht interessierte Bücherfreunde.

Das Angebot ist bunt gemischt: Taschenbuchausgaben von Mar-guerite Duras, Woddy Allen oder Doris Lessing sind dort ebenso zu finden wie hebräische Sprachkurse oder Kochbücher für koschere Küche. „Eigentlich habe ich hier alles", sagt Inhaber Emst Meir Stern, „nur die Science Fiction fehlt." Eines aber haben alle Bücher gemeinsam, ob es nun das „Tagebuch der Anne Frank" i st oder eine zweisprachige Ausgabe der Psalmen des Alten Testaments: Es handelt sich entweder um jüdische Autoren oder um jüdische Themen.

Da darf natürlich auch die Politik nicht fehlen, und so gibt es auch Literatur zum Nahost-Konflikt, und das durchaus differenziert, wie Stern unterstreicht: „Israelkritische Sachen: ja, israelfeindliche: nein", lautet seine Maxime.

Das ist vielleicht auch einer der Gründe dafür, daß in „Chaj" längst nicht nur Juden einkaufen. Etwa die Hälfte seiner Kunden sind Nicht-Juden, mehr noch, sogar bewußte Katholiken, die sich zum Beispiel Literatur besorgen wollen, um sich näher mit den Wurzeln der eigenen Religion auseinanderzusetzen. Oder sie suchen sich etwas aus der Abteilung „Christlich-jüdischer Dialog" oder sie kaufen einfach einen Gedichtband von Else Lasker-Schü-ler, den sie sich genauso gut in einer anderen Buchhandlung beschaffen könnten. Aber vielleicht finden sie es eben schöner, in „Chaj" herumzu-schmökern. „Einmal hat jemand zu mir gesagt: Euer Geschäft ist ein Mittelding zwischen einer Buchhandlung und einem Wohnzimmer", erzählt Emst Stern.

Und in der Tat: die Atmosphäre in dem kleinen Laden ist angenehm familiär, die gedämpfte jiddische Volksmusik im Hintergrund wirkt allenfallsexotisch, keinesfalls störend und es gibt auch einen kleinen Tisch mit Sesseln, wo man sich hinsetzen und in aller Ruhe in ein Buch hineinlesen kann. Es sind alles Stammkunden, erklärt Stern, Laufkundschaft habe er sehr wenig. Nur manchmal, wenn etwa Juden, die jetzt in den USA leben, das ehemalige Wohnhaus der Eltern suchen, kann es schon passieren, daß diese einfach so in den Laden hereinschneien, angelockt von den hebräischen Buchstaben des Geschäftsschildes.

Diese Besucher wissen dann wahrscheinlich nicht, daß sie es hier mit einem Unikum zu tun haben. Denn die im Bedenkjahr 1988 eröffnete Buchhandlung „Chaj" ist der einzige Laden in Österreich, der sich ausschließlich auf jüdische Literatur spezialisiert hat. „Ich bin schon sowas wie eine Institution", erklärt Emst Stern, nicht ohne ein bißchen Stolz. Eine Institution, der auch weitgehend mit Respekt begegnet wird. Zweimal hat er es seit Bestehen der Buchhandlung mit antisemitischen Störaktionen zu tun gehabt. Demgegenüber stehen zahlreiche Sympathiebekundungen aus der Nachbarschaft, auch von Nicht-Juden.

In „Chaj" gibt es aber nicht nur Bücher zu kaufen, im Sortiment finden sich auch Spiele, CDs, Videos, religiöse Gebrauchsartikel (zum Beispiel die traditionelle Kopfbedeckung Kipah) und Papierwaren (darunter Glückwunschbilletts für spezielle jüdische Anlässe und ein eigens für „Chaj" gedrucktes Geschenkspapier mit hebräischer Aufschrift).

Für alle die, die jetzt neugierig geworden sind: „Chaj" hat von Montag bis Freitag nachmittags ab 13.30 Uhr geöffnet.

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