Berger

Theologischer Freikletterer am Gipfel

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Wer auch nur begonnen hat, sich in den Gebirgsmassiven des vierten Evangeliums heimisch zu fühlen, ist schon ein anderer geworden“, schrieb der Heidelberger Theologe Klaus Berger, als er die Entstehung des Johannesevangeliums vor den anderen Evangelien ansetzte. Ein exegetischer Tabubruch. Einer von vielen in Bergers Theologenleben, das am 8. Juni im Alter von 79 Jahren endete. An seinem Schreibtisch sitzend, seinem Lieblingsplatz, wie seine Frau mitteilte. Wie er lebte, so starb er. Wie er aussah, so dachte, so schrieb, so lehrte er. Berger war nicht nur physiologisch ein kantiger Schädel, heißt es in einem Nachruf, sondern auch ein kantiger Denker – der nicht davor zurückschreckte, gegen die Theologenzunft eine klare Kante zu zeigen. Man kann Berger einen theologischen Freikletterer nennen. Einer, der allein durch die Gottes-Wand stieg, sich aus anderen Seilschaften ausgehängt hatte.

Von den einen, weil sie ihn wegen seiner als Häresie oder Fundamentalismus getadelten Meinungen nicht dabeihaben wollten; von den anderen, weil er bei der „sogenannten historisch-kritischen liberalen Exegese“ nicht mitmachen konnte, mit den „Bibelfälschern“, wie er katholische wie evangelische Neutestamentler abkanzelte, nicht mitsteigen wollte. Weil sich „die seit 200 Jahren fleißig und intelligent betriebene Bibelwissenschaft“ mit ihren Denkverboten und philosophischen Moden folgend, verstiegen hat, begründete er seine Free-Solo-Touren. Der Exegese warf er vor, theologische Überhänge wie Jungfrauengeburt, Wundererzählungen, Auferstehungs- oder Himmelfahrtsberichte mit ideologischen Klimmzügen zu umgehen, während er, sich ganz nah am Text orientierend, Griffe und Tritte suchte, um sie überklettern und zum Nachsteigen ermuntern zu können. Über 70 Gott-Kletterführer hat Berger publiziert – in seine Touren- berichte aus der Jesus-Vertikalen hineinzulesen, ist immer ein Gewinn. Weil sie, egal ob Zustimmung oder Widerspruch provozierend, Mut und Handreichung zum freier Denken, Glauben, Beten, Gottklettern machen. Und vor dem Ziel, war Berger überzeugt, „gibt es ja gottlob noch die Osternacht. Sie ist die Mutter aller Freiheit“.

Der Autor ist freier Journalist.

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