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Bekenntnisse eines Richters

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IM PARAGRAPHENTURM — Eine Streitschrift sur Entldeologisierung der Justin. Von Xaver Berra. H.-Luchterhand-Verlag, Berlin w. Neuwied, 1966, 160 Selten, kart., DM 11.80.

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IM PARAGRAPHENTURM — Eine Streitschrift sur Entldeologisierung der Justin. Von Xaver Berra. H.-Luchterhand-Verlag, Berlin w. Neuwied, 1966, 160 Selten, kart., DM 11.80.

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Ein deutscher Richter will die engen Grenzen des Paragraphenturms sprengen, in den sich die Justiz freiwillig eingeschlossen hat, er will die sich um die Justiz rankenden Mythen zerstören. Xaver Berra will demaskieren, entmytho- logisieren, entideologisieren — aber das gelingt ihm nur teilweise. Zu einem Zeitpunkt, da der Richter schlechthin von manchen, ohne Rücksicht auf die Realitäten, zu einem Fetisch aller gesellschaftstheoretischen Gedankengänge ge macht wird, ist es zweifellos verdienstvoll, daß auf die Abhängigkeit des weisungsgebundenen Richters vom allgemeinen gesellschaftlichen Klima hingewiesen wird, daß die Verknüpfung des Richterstandes mit bestimmten Interessen hervorgekehrt wird, daß das Bild einer Rechtssprechung entworfen wird, die permanent in die jeweilige obere Instanz hinaufhorcht und so ihre Unabhängigkeit selbst aushöhlt. Die Zerstörung von Tabus ist wohltuend; aber allzu häufig zeigt sich Berra nicht frei von Verallgemeinerungen und Vereinfachungen. Oft schlägt er richtungslos um sich und polemisiert im gleichen Atemzug gegen Rechtspositivismus und gegen Naturrechtsrenaissance, gegen Politisierung und gegen Entpolitisierung. So ist zwar ein sehr interessantes Buch entstanden, dem man jedoch mehr Konsequenz und Systematik wünschen würde.

Vor allem aber bleibt die Frage, ob nicht Xaver Berra mit seiner Kritik die Justiz generell überfordert. Denn in einer Demokratie kann es nie der Rechtssprechung, sondern nur dem Gesetzgeber zukommen, der Justiz Funktion und Aufgaben zu bestimmen. Es wäre letztlich eine Kompetenzüberachrei- tung der Rechtssprechung, würde sie, wie es sich Berra offensichtlich vorstellt, über den konkret formulierten Willen des konkreten Gesetzgebers eine vage „allgemeine Rechtsüberzeugung“ stellen. Der Unterschied zwischen dieser und dem „gesunden Volksempflnden" ist dann kein prinzipieller, sondern nur mehr ein gradueller. Eine grundlegende Reform der Rechtssprechung muß vom Gesetzgeber ausgehen. Dort ist der Hebel, wo eingesetzt werden muß.

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