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Das Gespenst des Obrigkeitsstaates

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DAS RECHT AUF FREIE DEMONSTRATION. Von Sieghart Ott. Luchterhand-Schriften- reihe. Demokratie und Rechtsstaat. 108 Seiten. DM 10.80.

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DAS RECHT AUF FREIE DEMONSTRATION. Von Sieghart Ott. Luchterhand-Schriften- reihe. Demokratie und Rechtsstaat. 108 Seiten. DM 10.80.

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Am 2. Juni 1967 wurde in West- Berlin der Student Benno Ohnesorg von einem Polizeibeamten erschossen. Der Konflikt zwischen Studenten der Freien Universität und der Obrigkeit war im Verlauf einer Demonstration gegen den Schah in eine Straßenschlacht ausgeartet. Ergebnis: ein Todesopfer und mehr als 50 Verletzte. Dieses Manifest einer Krise, die auch zu einer zeitweiligen Suspendierung der Grundrechte führte, lenkte das Augenmerk der Öffentlichkeit auf gegen das „Establishment” radikal opponierende studentische Minderheiten, die in der Demonstration die effektvollste Form des politischen Protestes gefunden haben.

Ott arbeitet in seiner Schrift das Wesen der Demonstrationsfreiheit heraus. Der Verfasser geht vom Grundgesetz aus, analysiert die Rechtsprechung, insbesondere den Umschwung von einer liberalen Auslegung zu den sich verschärfenden Restriktionen der Demonstrationsfreiheit. Neben den Grundrechtsgarantien des Art. 8 Abs. 1 und 2 (Versammlungsfreiheit) und Art. 19 Abs. 2 (Garantie des Wesensgehalts der Grundrechte) behandelt der Ver fasser auch das Versammlungsgesetz. Weiters zeigt Ott die Anwendung dieser Vorschriften in der Praxis, und zum Beispiel bei den Berliner Vietnamdemonstrationen, der Münchener Vietnamdemonstration von 1965, den Frankfurter Demonstrationen und der Kölner Kundgebung der „Conföderation iranischer Studenten”.

An Hand dieser Beispiele arbeitet der Verfasser die Begründung der Eingriffe in das Recht heraus. Sehr häufig sind Rücksichtnahmen auf den Straßenverkehr und zu erwartende Störungen durch politische Gegner Begründungen für Verbote oder Auflagenerteilungen gegenüber angemeldeten Demonstrationen. Das Mißverständnis zwischen „Demonstration” und „öffentlicher Gewalt” wird am deutlichsten am Verhalten der Polizei gegenüber einer im Ablauf begriffenen Demonstration. Hier offenbart sich häufig, daß die Demonstration von Amts wegen nicht als ordentliche demokratische Verhaltensweise gilt, sondern als suspekte und überflüssige Quelle störender Unruhe. Der Geist des Grundgesetzes wird vom Gespenst des Obrigkeitsstaates wilhelminischer Observanz verdrängt. Diese Verfassungswirklichkeit zeigt die Krise der rechtsstaatlichen Demokratie auf.

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