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Deutsche Polizei greift durch

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Die Polizei in der Bundesrepublik wiM künftig nicht mehr abwarten, bis Demonstranten Barrikaden errichten und Wurfgeschosse zusammentragen. Künftig soll — nach einem Beschluß der Polizaichefs in der Bundesrepublik — die Gefahr noch schwerer Ausschreitungen von Anfang an unterbunden werden. Die Pcdizeicbefs in der Bundesrepublik sind in einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen. „Polizei“ ist in Westdeutschland weitgehend eine Angelegenheit der Städte und Kreise. Vorsitzender dieser Arbeitsgemeinschaft, die den „Vorbeugungs-baschluß“ seiner Kollegen bekanntgab, ist der Frankfurter Polizeipräsident Dr. Gerhard Littmann, Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD).

Der Beschluß der Polizeichefs geht nach Dr. Littmann anderseits auch davon aus, daß nach den vorliegenden Unterlagen bei solchen Demonstrationen mehr und mehr kriminelle Elemente als „Hilf Struppen“ in Erscheinung treten. Anderseits sind zur Zeit etwa zweitausend Strafverfahren gegen vorwiegend studentische Demonstranten anhängig. Diese Umstände führten jetzt in der westdeutschen Öffentlichkeit zu einer Diskussion, an der sich unter anderem im „Forum“ der „Welt“ auch Professor Ernst Forsthoff, Ordinarius für Staats- und Verwaltungsrecht am der- Universität Heidelberg, der am Bundesverfassungsgericht bis vor einem Monat amtierende Bundesrichter Anton Henneka sowie Rechtsanwalt Dr. Josef Augstein, ein Bruder des „Spiegel“-Herausgebers und Verteidiger, beteiligten.

Der bekannte Staats- und Verwaltungsrechtler Forsthoff weist in seiner Darstellung in der „Welt“ darauf hin, daß jedem Deutschen vom Grundgesetz her das Recht auf unangemeldete Versarnimluingen unter freiem Himmel zusteht. Forsthoff hebt jedoch hervor: „Ob dieses Grundrecht auch die Demonstrationsfreiheit einschließt, ist keineswegs so ausgemacht, wie vielfach angenommen wird.“ Unangemeldete Demonstrationen, so erklärt Polizeipräsident Dr. Littmianm jedoch, werden von der Polizei keineswegs behindert werden — aber nach Professor Forsthoff kann die Polizei allen Demonstranten Auflagen machen und gegebenenfalls auch eine Demonstration verbieten. Wenn zum Beispiel ein Zug von Demonstranten das Verkehrszenitrum einer Großstadt in der Zeit der „rush hour“ auf längere Zeit blockiere, könne die arbeitende Bevölkerung nicht zeitgemäß nach Hause kommen. Dann liegt — mach Professor Forsthoff — der Fall vor, in dem nach Umständen die öffentliche Ordnung unmittelbar gefährdet ist. Mit welchem Recht, so fragt der bekannte deutsche StaatsrechtQer, darf eine demonstrierende Minderheit (und Demonstranten stellen immer eine Minderheit dar) der Mehrheit der Bevölkerung Beschränkungen, Belästigungen, Zeitopfer und finanzielle Einbußen aufdrängen? Unzweifelhaft aber wird die der Demonistration gesetzte Grenze überschritten, wenn die Demonstranten „in Aktion“ übergehen und Handlungen gegen Dritte (gegen Personen oder Sachen) vornehmen. Solche Aktionen seien nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts und des Strafrechts zu beurteilen. „Aktions“ - Demonstranten können sich nach Professor Forst-hoffs Ansicht weder auf den Ver-saimmlungisschutz noch auf den Schutz der Verfassung berufen.

Rechtsanwalt Dr. Josef Augstein vertritt ebenfalls in der „Welt“ die Ansicht, daß der Kampf um die Durchsetzung politischer Forderungen, daß Bemühen um Einfluß auf die staatliche Willensbildung ebenso legitim sind wie Druck und Gegendruck. Dieser notwendig harte Meinungskampf dürfte freilich nicht zu einem latenten oder offenen Bürgerkrieg führen. Die freiheitliche Demokratie müsse sich klar von einem anarchistischen Chaos unterscheiden. Toleranz gegen den politischen Gegner sei von beiden Seiten zu fordern. Die Grenzen ergäben sich aus dem Grundgesetz. Dr. Augstein hält es aber für nötig, daß unter ganz anderen politischen Verhältnissen entstandene Gesetze sehr einschränkend ausgelegt werden oder daß man in bestimmten Grenzen neue Rechtfertigumgagründe wird anerkennen müssen.Bundesrichter Anton Henneka weist bei der gleichen Foruimsdiis-kussion in seiner Beurteilung der Grenzen der Demonstrationsfreiheit darauf hin, daß die Unsicherheit bei der Beurteilung von Fragen des Demonstrationsrechts nicht zuletzt darauf zurückzuführen sei, daß die Begriffe „Demonstration“, „Demonstrationsfreiheit“ und „Demonstrationsrecht“ verfassungsmäßig nicht ausdrücklich verankert seien. Allerdings verstehe man • im heutigen Sprachgebrauch unter „Demonstration“ eine Versammlung von Menschen zur Kundgabe einer bestimmten Meinung, die sich auf politische Angelegenheiten im weitesten Sinne des Wortes beziehe. Jeder deutsche Staatsbürger habe das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit und könne daher an Versammlungen teilnehmen, mm damit seine Meinung zu einer bestimmten politischen Frage zu äußern und eine beliebig große Zahl von Mitbürgern auf die Versammlung und ihr politisches Anliegen aufmerksam zu machen. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit und auf freie Meinungsäußerung begründet mach Meinung des ehemaligen Richters am Bundesverfassungsgericht , aber auch die Schranken des Demonstratiomsrech-tes.

Das Grundgesetz schütze nur „friedliche Versammlungen ohne Waffen“. Wer Stöcke oder Steine mit sich führt — „auch das sind Waffen“ —, um sie bei passender Gelegenheit „zur Verletzung von Personen“ zu verwenden, kann sich nicht mehr auf ein Demonstrationsrecht berufen, kommentiert Anton Henneka und schließt: „Die Demonstrationsfreiheit soll eine Bereicherung der Demokratie sein, nicht aber ein Mittel zu ihrer Vernichtung. Jeder soll seine Meinung zu allen ihn bewegenden Dingen sagen, so oft und so laut er will. Aber niemand darf einen anderen unter Verstoß gegen die allgemeinen Gesetze zwingen, seine Meinung anzuhören.“

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