Hans Jonas (1903-1992), dessen Veröffentlichungen zur philosophischen Anthropologie seit Jahrzehnten der internationalen weltanschaulichen Diskussion wesentliche Impulse gegeben haben, entwickelt in' „Das Prinzip Leben” ein Verständnis der organischen Welt, das die für Naturwissenschaft und Philosophie seit Descartes bestimmend gewordene Trennung des Geistigen und des Stofflichen zu überwinden sucht.
In kritischer Analyse, Reschrei-bung und philosophischer Auslegung organischer Vermögen und Funktionen zeigt er, daß das Organische schon in seinen elementarsten Formen das Geistige vorbildet und der Geist noch in seiner höchsten
Ausbildung Teil des Organischen bleibt. Auf die kürzeste Formel gebracht, legt dieses Ruch eine „onto-logische” Auslegung biologischer Phänomene vor. Die philosophische Lesung des biologischen Textes vermag die innere Dimension für das Verstehen des Organischen zurückzugewinnen und so der psychologischen Einheit des Lebens den Platz im theoretischen Ganzen wieder zu verschaffen, den es seit langem verloren hat.
Die großen Widersprüche, die der Mensch in sich selbst entdeckt -Freiheit und Notwendigkeit, Autonomie und Abhängigkeit, Ich und Welt, Reziehung und Vereinzelung, Schöpfung und Sterblichkeit - haben ihre frühen Vorbildungen bereits in den primitivsten Formen des Lebens, deren jede die gefährliche
Waage zwischen Sein und Nichtsein hält und immer schon einen inneren Horizont von Transzendenz in sich birgt. Dieses allen organischen Stufen gemeinsame Thema zeigt das Leben in der ständigen Balance zwischen Freiheit und Gefahr, gipfelnd im Menschen, der seine Einzigkeit vielleicht neu verstehen kann, wenn er sich nicht mehr länger in metaphysischer Abgetrenntheit sieht.
Hans Jonas' „Ansätze zu einer philosophischen Biologie” erschienen erstmals 1973 unter dem Titel „Organismus und Freiheit”; sie haben bis heute nichts an ihrer Gültigkeit verloren.
