Bildung zum Menschsein

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Worüber wird eigentlich geredet, wenn von "Bildungsreform" in Österreich die Rede ist? - Über die Reorganisation von Bildungssystemen zum Nutzen für die materiell orientierte Wohlstandsgesellschaft, also Gesamtschule, Leistungsorientierung und Pisa-Erfolge. Andere Ziele, sollten sie überhaupt existieren, werden zumindest nicht thematisiert, beispielsweise die Bildung zum Menschsein, die freilich andere Inhalte bräuchte, als derzeit tatsächlich vermittelt werden.

Was könnte konkreter Inhalt so verstandener Bildung sein? Zum Beispiel Schach, Latein und Musik: Durch das Spiel der Könige kann man verlieren lernen, das Wichtigste in unseren unvollkommenen Leben, weil es am häufigsten vorkommt. Die lateinische Sprache hält die Wurzeln europäischen Denkens und damit die historische Dimension menschlicher Existenz gegenwärtig. Durch das Musizieren schließlich kann eine Ahnung von der inneren Ordnung des Kosmos aufgehen, wie sie Cicero im Somnium Scipionis ("Traum des Scipio") beschrieben hat. Alle drei "Künste" sind spezielle Zugänge zur Welt, die das Verständnis fördern, was das Menschsein ausmacht.

Und Rhetorik, um mein Bildungs-Quadrivium voll zu machen: Unter Rhetorik versteht man nach Gert Ueding "die Lehre, wie man sich im sozialen Leben zu verhalten hat, wenn man erfolgreich sein und sein Recht bekommen will". Damit ist nicht billige Handbuch-Rhetorik gemeint, wie sie, allerorten angeboten, Erwartungshaltungen nach schnellem Erfolg weckt, sondern ein Bildungsprogramm, wie es schon die Antike verstand, mit dem erklärten Ziel, homines boni dicendi periti - "gute Menschen, welche die Kunst des Miteinanderredens beherrschen" - zu erziehen. Alles andere bekommt man dazugeschenkt.

Der Autor ist Wissenschaftlicher Direktor der Joanneum Research Forschungsgesellschaft in Graz.

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