Die meisten haben, was Österreich noch fehlt

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Europa-Parlamentarier Karas hat den Entwurf für einen Politiker-Anstands-Kodex vorgelegt. Dieser fehlt in Österreich. In anderen Demokratien sind Kodizes und Räte selbstverständlich.

Tony Blair war etwas nervös, als er das erste Mal als Premierminister die Downing Street betrat. Wie er später zugab, war es sein "erster und einziger Regierungs-Job.“ Er hatte noch nie ein Regierungsamt ausgeübt, auch kein noch so unbedeutendes. Scheinbar handelt es sich bei der Politik um ein Berufsfeld ohne Berufsbeschreibung für "Bewerber“, wo außerdem die einzige Voraussetzung diejenige ist, Wahlen zu gewinnen.

Verhaltenskodizes für Politiker können Richtlinien darstellen, welches Verhalten als richtig oder falsch einzustufen ist, speziell im von Gesetzen nicht geregelten Graubereich. Speziell in parlamentarischen Systemen, die auf dem anglo-amerikanischen Modell beruhen, finden Verhaltenskodizes als Teil der politischen Kultur Anerkennung. Für Mitglieder des britischen Parlaments existieren Verhaltensregeln, zusätzlich gibt es einen "Code“ für Minister. Das gleiche gilt für Irland, auch Kanada erließ einen Verhaltenskodex für Abgeordnete. In den USA wurden ein "House Ethics Manual“ für das Repräsentantenhaus und ein "Code of Official Conduct“ für den Senat erlassen. Für beide Häuser bestehen Ethikausschüsse, zudem ein Ethikkodex für die Regierung.

In Australien schwelt die Diskussion über Verhaltensregeln für Abgeordnete seit Jahrzehnten. Das Vertrauen der Öffentlichkeit gegenüber Politikern sank auf ernüchternde sieben Prozent. Vergangenes Jahr wurde die Initiative zur Einführung eines Verhaltenskodex wieder aufgenommen, um das Vertrauen in die Politik wiederherzustellen. Vor einigen Jahren unterzeichneten die neuseeländischen Oppositionsparteien, darunter die Grünen, einen freiwilligen Verhaltenskodex und appellierten an den Parlamentspräsident, diesen durchzusetzen. Die Regierung lehnte einen Verhaltenskodex als überflüssig ab.

Europäische Modelle variantenreich

Das neue schottische Parlament erließ einen ausführlichen Verhaltenskodex, und in Malta gibt es einen Kodex sowohl für Abgeordnete als auch deren Mitarbeiter. Der lettische Verhaltenskodex besagt, dass Abgeordnete "ordentlich angezogen“ sein und kontinuierlich ihren Wissensstand über Demokratie erweitern sollen. Außerdem sollen sie es vermeiden, sich alkoholisiert der Öffentlichkeit zu zeigen. In Litauen verschrieben sich die Abgeordneten einem Verhaltenskodex, der Bürgermeister, Regierungsmitglieder, Gemeinderäte und Kandidaten umfasst. In Polen besteht für Abgeordnete des Unterhauses ein Ethikgesetz.

Der Europarat begrüßt ethische Verhaltensregeln für Parteien im Kampf gegen Korruption. Die Schottische Nationalpartei erließ für ihre Mitglieder einen Verhaltenskodex, einen solchen unterzeichneten die Kandidaten der britischen Labour Partei. Die Liberaldemokraten im Vereinigten Königreich erließen einen Verhaltenskodex für ihre Abgeordneten zum europäischen Parlament. Apropos Brüssel: Angestellte der Europäischen Kommission sind wie die Kommissare Verhaltensregeln unterworfen.

Zentraler Punkt der meisten Kodizes ist das Prinzip, öffentliches Gut vor privaten Gewinn zu stellen. Britische Minister sollen Bonusmeilen nicht für private Reisen verwenden. Wenn möglich, sollen sie öffentliche Verkehrsmittel benützen.

Verhaltenskodizes enthalten nicht nur Ver-, sondern auch Gebote: Irische Minister haben bei bestimmten Postennachbesetzungen auf eine Genderquote von 40 Prozent zu achten.

Typischerweise enthalten Kodizes für ehemalige Minister Bestimmungen zur Publikationstätigkeit oder zum Wiedereinstieg in die Privatwirtschaft. Kleiderordnungen werden als kontroversiell eingestuft und von einigen Parteien, etwa den Grünen in Deutschland, abgelehnt. Im Großen und Ganzen ist das Privatleben von Politikern von den Ge- und Verboten der Kodizes ausgenommen, außer ihr Verhalten hätte einen negativen Einfluss auf den Berufsstand.

Sanktionen reichen bis zum Rauswurf

Unethisches Verhalten inkludiert Privilegienmissbrauch, z. B. bei Identitätsausweisen, die Versäumnis, finanzielle Interessen offenzulegen, das Zurückhalten von Informationen gegenüber der Öffentlichkeit, wissentliches Irreführen des Parlaments, die Behinderung des reibungslosen Ablaufs der parlamentarischen Prozesse.

Obwohl einige Punkte in den Geschäftsordnungen erfasst werden, funktionieren sie oft nicht in der Praxis. In Neuseeland argumentieren Befürworter, dass ein Kodex die Debattenkultur im Parlament hebe, da es dem Parlamentspräsidenten große Schwierigkeiten bereitet, für Ordnung zu sorgen, und Ordnungsrufe folgenlos blieben.

Sanktionen inkludieren eine öffentliche Entschuldigung, das Beheben von Problemen, das Zurückzahlen von ungerechtfertigt in Anspruch genommenem Geld, eine Suspendierung oder den Rauswurf.

Im Vereinigten Königreich wird der Verhaltenskodex einer Revision unterzogen. Die Regierung schlug den auch in Kalifornien praktizierten "Recall“-Mechanismus vor. Ein schwerwiegender Bruch des Verhaltenskodex führt zu einer Absetzung der betroffenen Person sowie zu einer Nachwahl, sofern dies mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten im Wahlbezirk des Abgeordneten in einer Petition verlangen.

Befürworter eines Verhaltenskodex weisen darauf hin, dass Gesetze allein nicht ausreichen und eine "Ausweichmentalität“ hervorrufen. Gesetze können nicht jedes Detail regeln, was zu Gesetzeslücken führt, die ausgenützt werden können, bevor sie repariert werden. Verhaltenskodizes sind leichter zu ändern als Gesetze. Außerdem hätten Frauen größeres Interesse an einer Karriere in der Politik, wäre ein gewisses Fair Play gewährleistet. Experten betonen, dass viele Frauen sich der Politik wegen des schlechten Images und häufigen Fouls fernhalten. Kritiker meinen hingegen, Verhaltenskodizes veränderten nichts. Dennoch bilden diese Kodizes Richtlinien für Medien und Öffentlichkeit, mithilfe derer sich Politiker beurteilen lassen, was Professionalisierung mit sich bringe.

* Die Autorin, gebürtige Engländerin, ist Politologin und u. a. OSZE-Konsulentin für das Projekt "Ethik in der Politik“

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