Ein Arzt und fast ein Heiliger

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Seine Frau nennt ihn verrückt. Seine Patienten jedoch verehren Mohammad Nasim Khogiani, Arzt im Osten Afghanistans. von wolfgang machreich

Der Anzug, den er anhat, gehört seinem Bruder, doch das Lachen ist seines: Und Mohammad Nasim Khogiani lacht über das ganze Gesicht, als ihn sein Gegenüber fragt, ob er denn ein Heiliger sei. "Fast", antwortet er mit gespieltem Ernst, "und ein strenger Idealist", fügt er verschmitzt hinzu.

Beides, fast ein Heiliger und ein strenger Idealist, muss man auch sein, um das Leben eines Arztes im äußersten Osten Afghanistans auf sich zu nehmen; wo es doch genug Alternativen, die ein besseres, schöneres, gemütlicheres Leben verheißen, gibt. Oder Doktor Nasim Khogiani ist verrückt. "Meine Frau wirft mir das jeden Tag vor", klagt er und lacht wieder. Ganz so streng kann die Schelte der Gattin demnach nicht ausfallen.

Zum ersten Mal verrückt erklärt wurde er 1990: Nach acht Jahren Medizinstudium in Rostock kehrt Nasim Khogiani in seine Heimat zurück. Als einziger von 60 Landsleuten, die mit ihm in der DDR studiert haben. "Mir hat Ostdeutschland seine gute Seite gezeigt", blickt Nasim zurück: Gemeinschaftsgefühl, Solidarität und die Überzeugung, dass nicht nur das Materielle im Leben zählt, habe er neben seinem Studium gelernt. Sechs Jahre teilte er sein Zimmer mit einem Christen - "das prägt", sagt der Sunnit.

Khogiani nach Khogiani

Zurückgekehrt ist Nasim Khogiani nach Khogiani. "Ich heiße so wie mein Bezirk, da muss ich doch auch dort leben und arbeiten", erklärt der Arzt. Seine vier Brüder sehen das nicht so streng. Einer lebt in Österreich, drei in Pakistan. Alle haben Karriere gemacht, Strom ist in die Wohnungen der Brüder eingeleitet und sie besitzen einen Fernseher und saubere Wassertoiletten - nur nicht die Khogianis in Khogiani: Die kochen nach wie vor auf einer Feuerstelle am Boden und hinter dem primitiven Haus ist eine Latrine.

Der Bürgermeister bittet Nasim Khogiani 1990, das Gesundheitssystem des Bezirks aufzubauen. Nasim willigt ein, die Verrücktheit nimmt seinen Anfang. Die Privatinitiative eines Österreichers, Rudolf Hubmann, unterstützt das Krankenhaus in Khogiani. Schritt für Schritt werden die Abteilungen aufgebaut, bis zu 32 Ärzte und Pfleger aufgenommen. Die Menschen schöpfen Vertrauen in Khogianis Arbeit. Männer lassen ihre Frauen von Ärzten behandeln - anderswo in Afghanistan Tabubruch und Unvorstellbarkeit zugleich.

Taliban hinausgeschmissen

Das Talibanregime setzt Nasim Khogiani zu. Ohne Erfolg, seine Reputation bei den Patienten ist groß; die Macht der Islamisten endet an der Spitalstür. Anderswo werden Krankenhäuser geplündert, in Khogiani nicht. "Ich habe weiterhin Frauen behandelt, ich habe mich weiterhin mit Kolleginnen in einem Raum besprochen", erzählt der Arzt und fügt hinzu: "Ich behandle alle gleich: Kommunisten, Islamisten, Christen, Terroristen." Öfters poltern bewaffnete Milizen an die Tür und fordern die Herausgabe eines Patienten. Nasims Autorität setzt sich durch. "Es gefällt mir, dass mich die Menschen respektieren", sagt Nasim, "dass sie mir vertrauen, ist mir mehr wert als das Geld, das ich anderswo verdienen könnte."

Doch die Versuchung, zumindest in die Hauptstadt Kabul zu gehen, ist groß. Als Dolmetsch für die internationale Truppen im Land könnte er 700 Dollar im Monat verdienen. "Ich bin Arzt", sagt Nasim, hebt ein wenig hilflos die Schultern und bleibt bei seinen 120 Dollar Monatsverdienst in Khogiani. Nach Rudolf Hubmanns Tod 2001 reißt der Spendenfluss aus Österreich ab. Nasim und seine Kollegen erklären sich bereit, ein Jahr ohne Einkommen weiter zu arbeiten. Nach sieben Monaten springt die Caritas Österreich in die Presche. Das Krankenhausprojekt geht weiter.

Ansonsten aber sinkt das Vertrauen gegenüber der Hilfe aus dem Ausland, sei es nun USA oder EU, klagt Nasim. Die Menschen setzten alle Hoffnung auf eine starke Verwaltung des Landes, fährt er fort, doch an die Macht gekommen sind wieder nur ehemalige Mudschahedin, die das Land schon einmal in den Ruin geführt haben. Zuversichtlich macht Nasim allein die wachsende Zahl an Parteien und Menschenrechtsorganisationen. Ihnen traut er zu, dass sie ein neues Afghanistan möglich machen.

Große Sorge macht dem Arzt die schlechte Schulausbildung: "Die Kinder lernen nichts, das war zu meiner Zeit schon einmal viel besser." Nach seinem Dienst im Krankenhaus ersetzt Nasim deswegen noch seinen Kindern den Lehrer. "Aber es gibt keine Bücher, keine Zeitungen..."

40 Jahre ist Nasim Khogiani alt. Zu seinen Lebzeiten erwartet er in Afghanistan keine großen Veränderungen hin zum Positiven mehr. Doch bei seinen Kinder, das fünfte ist unterwegs, ist er zuversichtlich, dass sie einmal in Khogiani bleiben - ohne strenge Idealisten oder fast Heilige sein zu müssen.

Nasim Khogianis Krankenhaus wird von der Caritas Österreich unterstützt.

Spenden erbeten an: PSK BLZ 60.000

Kto.-Nr. 7.700.004, Kennwort "Khogiani"

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