Gut geölte Beziehungen - trotz unfreier Wahlen und Journalisten im Gefängnis

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Weltrekord beim Wirtschaftswachstum und Sympathiebekundungen aus Washington, Brüssel, Moskau und Fernost - die Kaukasusrepublik Aserbaidschan knüpft an den Ölboom aus Rothschilds Zeiten an und der Westen vergisst nicht uneigennützig auf seinen Wertekodex.

Beim Fahren mit öffentlichen Bussen zahlt man in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku erst beim Aussteigen - "der Bus könnte ja eine Panne haben, und ich komme nicht an mein Ziel", erklärt ein Fahrgast den ungewohnten Brauch. Vorsicht, Skepsis, Misstrauen dürfte ein Wesenszug der Menschen in Aserbaidschan sein - ein Mitarbeiter der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung, der sich seit Jahrzehnten in der Region aufhält, zeigt sich später bei einer Fahrt übers Land ebenfalls sehr überrascht, wie zurückhaltend, fast scheu im Vergleich beispielsweise zu den Kasachen oder Usbeken die Aseris beim Kontakt mit Fremden reagieren.

Von der Tristesse zum Boom

Die jüngere Geschichte Aserbaidschans gibt den Aseris auch jede Menge Anlass, die Zeitläufte mit Skepsis zu betrachten: Im Herbst 1989 verkündete der Oberste Sowjet in Baku die Souveränität Aserbaidschans. Sowjetische Truppen marschierten daraufhin ein, es kam zum "Blutigen Januar", hunderte Menschen starben. Die ersten Jahren der Unabhängigkeit seit 1991 waren zudem von politischer Unsicherheit und Orientierungslosigkeit, ob man sich nach Moskau oder Ankara orientieren solle, sowie Misswirtschaft und Massenarbeitslosigkeit geprägt. Anfang der 1990er Jahre eskalierte auch noch der Krieg mit dem Nachbarn Armenien um das hauptsächlich von Armeniern bewohnte aserbaidschanische Staatsgebiet Nagorny-Karabach; der Konflikt ist bis heute nicht beigelegt, sondern nur durch einen Waffenstillstand seit 1994 ruhend gestellt ist.

Doch von der damaligen Tristesse ist heute im Zentrum von Baku nichts mehr zu spüren. Nicht zu unrecht bejubelt das Bordmagazin in der Austrian Airlines-Maschine die Hauptstadt als "Boomtown"; bis zu vier Linienflüge die Woche von Österreich nach Baku deuten ebenfalls auf ein sehr gutes Geschäftsklima am Westufer des Kaspischen Meers hin.

Seit ewig: "Land des Feuers"

Im letzten Jahr schoss das Bruttoinlandsprodukt des Landes mit der Größe und der Einwohnerzahl Österreichs unglaubliche 36,6 Prozent auf 15,7 Millliarden Euro in die Höhe (zum Vergleich BIP Österreich: 256,5 Milliarden Euro) - der Anstieg sei Weltrekord, schrieb die Moskauer Zeitung Wedomosti - und kein einmaliger Ausreißer, auch 2005 lag Aserbaidschans BIP-Plus bei 26,4 Prozent und auch 2007 wird ein gutes Wirtschaftsjahr für das "Land des Feuers" oder "Land der Bewahrer des Feuers", so die Übersetzung des Namens Aserbaidschan.

Russland & Iran umgehen

Schon seit antiker Zeit gehört das als "griechisches Feuer" bekannte aserbaidschanische Erdöl und Erdgas zum Kultur- und Religionsträger und vor allem Exportschlager der Region. Nicht zuletzt die Brüder Nobel und die Familie Rothschild verdankten Ende des 19. Jahunderts den Bohrlöchern bei Baku ihren sagenhaften Reichtum. Heute bleibt ein Großteil der Gewinne in aserbaidschanischen Händen: Die Präsidenten-Dynastie Alijew kontrolliert mit ihrem Clan das Ölgeschäft. Und mit der im Juli 2006 in Betrieb genommenen weltweit teuersten Rohölpipeline BTC (siehe Grafik Seite 3) katapultierten Alijews sich und Aserbaidschan in eine energiepolitische Schlüsselposition für den Kaukasus und ganz Zentralasien. Die Trasse war von Anfang an ein höchst politisches Projekt: "Die BTC", erklärte letztes Jahr ein leitender Pipelineplaner bei den pompösen Eröffnungsfeierlichkeiten im türkischen Ceyhan, "ist die erste große Leitung, die den Westen versorgt, ohne durch arabischen Sand und irakisches Gelände, über iranische Küsten oder russische Steppen zu führen."

Ölreichtum - nur im Zentrum

Bei voller Auslastung soll die Pipeline jeden Tag eine Million Barrel (je 159 Liter) Rohöl transportieren. Aufs Jahr gerechnet ergibt das etwa die Hälfte des jährlichen Verbrauchs von Deutschland - Aserbaidschans Staatskassa kann mit hunderten Milliarden Petrodollars Einnahmen rechnen.

Bei der Ausstiegsstelle der eingangs erwähnten Busfahrt angekommen, ist von Ölreichtum und riesigen Deviseneinkommen nichts zu bemerken: Heruntergekommene Plattenbauten, kein Asphalt auf der Straße, Müllberge, die über einen steilen Abhang hinunter in eine tiefe Schlucht geschoben wurden …

Ausbilden zum Auswandern

Der Salesianerpater Stefan Kormancik leitet in diesem Stadtteil an der armen Peripherie der "Boomtown" ein von "Jugend Eine Welt" und der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (OEZA) finanziell unterstütztes Jugendzentrum, das Nachhilfeunterricht, Sprach- und Computerkurse anbietet. Und der Andrang ist enorm - für 80 Schülerinnen und Schüler geplant, kommen mittlerweile um ein Drittel mehr Kinder und Jugendliche in den Unterricht; wer zuwenig Fleiß zeigt, bei den regelmäßigen Klausuren nicht überzeugt, muss wieder gehen - "dann kommen die von der Warteliste an die Reihe", sagt Pater Stefan. Der Slowake mit dem schwarzen Schnauzer ist seit gut fünf Jahren im Land; anfangs hat er sich nicht leicht getan mit Aserbaidschan und den Aseris, erzählt er, doch mittlerweile ist beiderseits die Skepsis gewichen; nach Russisch lernt er jetzt auch noch die turkische Landessprache Azeri - und er will bleiben, so wie er sich auch von seinen Schülern wünscht, dass sie "die Chancen erkennen, die dieses Land bietet, und hier bleiben". Doch vergangene Abschlussjahrgänge seiner Schule lassen Kormancik an der Erfüllung dieses Wunsches zweifeln: "Die Besten gehen nach Europa!" - auch insofern sei österreichische Entwicklungshilfe hier gut investiert, fügt der Pater hinzu.

Lange Korruptions-Tradition

Bei der Salesianer-Schule ums Eck bieten Automechaniker in heruntergekommenen Garagen ihre Dienste an; musternde Blicke aus den Werkstattgruben verfolgen den an den offenen Toren Vorbeigehenden; sein Auto soll man hier nur unter Aufsicht reparieren lassen, heißt es, ansonsten ist die Gefahr groß, dass bei Abholung des Wagens alle guten Bestandteile durch weniger gute ersetzt worden sind. Und einmal die Woche, heißt es ebenfalls, kommen Uniformierte in die Gasse, um "ihre Steuern" einzutreiben.

Korruption gepaart mit Rechtsunsicherheit ist eines der großen Übel, das Aserbaidschan an einer gedeihlichen Wirtschaftsentwicklung hindert, klagt der aserbaidschanische Politologe Erkhan Nuriyev (siehe Interview Seite 2). Ein Geschäftsmann aus dem Holzgewerbe in Baku sieht das weniger schlimm: "Das ist bei uns jahrhunderte alte Tradition, dafür zahl ich weniger Steuern!"

"Holländische Krankheit"

Auf diesem Korruptions-Humus, fürchten Ökonomen, könnte jetzt auch der schlimmste Ressourcenfluch überhaupt gedeihen: die "holländische Krankheit". Benannt nach einer Entwicklung nach Erdgasfunden in den Niederlanden der 1960er Jahre wird damit die Gefahr beschrieben, dass die Währung einer Volkswirtschaft, die übermäßig von Gas-oder Ölproduktion abhängig ist, so stark wird, dass die anderen Branchen nicht mehr profitabel für den Weltmarkt produzieren können und kaum noch Entwicklungschancen haben. Hinzu kommt, dass die besten Arbeitskräfte in diesen Sektor abgezogen werden.

Roland Götz, auf die früheren GUS-Staaten spezialisierter Ressourcenexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, glaubt im Gespräch mit der Furche, die aserbaidschanische Elite sei sich dieser Gefahr bewusst und versuche mit der Einrichtung eines Fonds nach norwegischem Vorbild, der den Strukturwandel weg vom Öl finanzieren soll, gegenzusteuern. Ein anderer Experte, Thierry Coville vom Pariser Centre Nationale de Recherches Scientifiques, ist in seiner Einschätzung weniger optimistisch: Für ihn ist Aserbaidschan auf den Ölboom nicht vorbereitet, und "in einem Land, in dem es keine Transparenz gibt, herrscht automatisch die Tendenz, die Öleinnahmen für die Pflege des Klientelsystems zu verwenden".

Mit Öl erkauftes Schweigen

Freunderlwirtschaft ist im Zusammenhang mit Aserbaidschan auch den wichtigsten Staatskanzleien nicht fremd: Nach den Parlamentswahlen 2005, bei denen internationale Wahlbeobachter massive Wahlfälschungen attestierten, kam aus dem US-State Department nur leise Kritik und in Europas Hauptstädten herrschte überhaupt Funkstille gegenüber dem gar nicht so europäischen Vorgehen des Europarats- und OSZE-Mitglieds Aserbaidschan. Und auch jetzt angesichts von einem halben Dutzend Journalisten in aserbaidschanischen Gefängnissen gelten für den wichtigen Ressourcenlieferanten doppelte Standards. Oder teilt das politische Europa die Meinung des weißrussischen Botschafters in Baku, der dieser Tage sagte: "Ohne Respekt gegenüber unserer Mentalität, Geschichte und Tradition versucht der Westen, uns sein obskures Demokratieverständnis überzustülpen."

Lesen Sie nächste Woche: Aserbaidschan und Weißrussland - zwei Staaten, ein Problem: Demokratisierung.

Berg-Karabach

Seit 1994 herrscht Waffenstillstand zwischen Aserbaidschan und Armenien im Streit um die Kaukasus-Region Nagorny-(Berg)-Karabach. Im vergangenen Dezember stimmten 98 Prozent der Bewohner der Region für die Eigenständigkeit der Enklave; Baku beharrt aber auf Berg-Karabach als Teil Aserbaidschans, will aber sehr viel an Autonomie gewähren.

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