Satte Menschen hören nicht auf Islamisten"

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Der Rechtsanwalt: Falah Mordakhin hat den Giftgasangriff auf Halabja überlebt, war bei der Befreiung von Saddams Baathisten und 2003 von Al Kaida-Terroristen dabei. Heute kämpft er für Frauen-Rechte und gegen Islamisten.

Über der Stadtausfahrt von Sulaymaniah nach Osten in Richtung Halabja erhebt sich auf einem kleinen Berg der Heldenfriedhof für die verstorbenen Parteifunktionäre der regierenden Patriotischen Union Kurdistans (PUK). Der Friedhof ist in der Nacht beleuchtet, während in Sulaymaniah immer wieder der Strom ausfällt. "Licht für die Toten, dunkle Stadt", hat die unabhängige Wochenzeitung Haulati diese Provokation für die Bevölkerung gegeißelt und die abgehobene und selbstgerechte Politik der Partei von Iraks Staatspräsident Jalal Talabani an den Pranger gestellt. Der Kommentator wurde daraufhin bedroht und Haulati ist mit Dutzenden Klagen konfrontiert, die diese kritische Stimme mundtot machen möchten.

Friedhöfe ohne Dörfer

Neben der Straße von Sulaymaniah nach Halabja tauchen immer wieder Friedhöfe auf - aber ohne die dazugehörigen Ortschaften. Die sind Ende der 1980er-Jahre im Rahmen von Saddams "Operation Anfal" dem Erdboden gleichgemacht worden, geblieben sind die Totenacker und mindestens 180.000 kurdische Tote. Allein 5000 Opfer hat das größte Giftgasmassaker an Zivilisten seit dem Zweiten Weltkrieg in Halabja gefordert. Am Eingang der Stadt recken sich zur Erinnerung an diese Tragödie vor 20 Jahren riesige Hände aus Aluminium in den Himmel. Doch das Denkmal ist nur mehr eine ausgebrannte Ruine. Die Gedenkfeier zum 19. Jahrestag des Giftgasangriffs am 16. März letzten Jahres ist zum Protest gegen die Regierung und den ausgebliebenen Wiederaufbau der Stadt ausgeartet: Ein Toter, zehn Verletzte, Massenverhaftungen und ein angezündetes Denkmal sind die Bilanz dieses Tages - und das neue Versprechen der Regierung Stadt und Region mehr Unterstützung zukommen zu lassen.

"In der Gesellschaft brodelt es", sagt Falah Mordakhin, und er ist froh darüber, dass die Menschen aus ihrer Lähmung aufbrechen, ihr Schicksal, ihre Politik selbst in die Hand nehmen wollen. Falah ist Rechtsanwalt, Menschenrechtsaktivist und einer der Überlebenden des Giftgasangriffs auf Halabja. Sein älterer Bruder hat den damals 14-jährigen Falah mit einem Gürtel an sich gebunden und zusammen haben sie es halb blind und betäubt vom Gas in die rettenden Berge geschafft. Dort hat Falah die Solidarität und den Widerstandsgeist gegen ungerechte Strukturen gelernt, der ihn bis heute antreibt. Diese Region an der irakisch-iranischen Grenze, sagt er, hat besonders an allen Kriegen gelitten, die über das Land hinweggezogen sind.

Bin-Laden-Vize vertrieben

An Saddams Feldzug gegen die Kurden und am irakisch-iranischen Krieg in den 1980er-Jahren, am kurdischen Bürgerkrieg in den 1990ern und bis zur Befreiung von der Al-Kaida-Fraktion Ansar al Islam (Gefolge des Islam) 2003 auch noch an einer islamistischen Terrorherrschaft. Wenige Tage nachdem im Frühjahr 2003 amerikanische Truppen den geheimnisumwobenen und mittlerweile toten Bin-Laden-Stellvertreter Abu-Musab al-Zarqawi samt Gefolgsleuten aus ihrem Hauptquartier in der Moschee des Grenzdorfs vertrieben haben, ist Falah nach Biara gekommen. Die Frauen und Mädchen haben unter den Islamisten am meisten gelitten, mussten sich völlig verschleiern, durften ihre Häuser kaum verlassen, wurden kontrolliert, konnten nicht mehr die Schule besuchen … - deswegen, sollte ihnen als ersten geholfen werden. Falah eröffnet mit finanzieller Unterstützung der österreichischen Liga für emanzipatorische Entwicklungszusammenarbeit LEEZA (siehe Hinweis nächste Seite) ein Frauenzentrum: Alphabetisierungs- und Nähkurse, Englisch- und Computer-Stunden werden angeboten. Und in Biara, wie in den ebenfalls von LEEZA unterstützen Frauenzentren im nahen Halabja und im weiter entfernten Kiffrí und, und, und … nehmen die Frauen und Mädchen diese Angebote gerne an. "Die Frauen hatten keinen Ort, wo sie ihre Wünsche und Interessen ausleben konnten", sagt die Direktorin des Frauenzentrums in Biara und verweist stolz auf frühere Analphabetinnen, die mittlerweile Maturaniveau erreicht haben. Und wie reagieren die Männer? "Die stehen dahinter", antwortet die Direktorin, "wären sie dagegen, würden sie die Frauen wegsperren." Die Islamisten hätten die Bevölkerung mit Waffen kontrolliert, aber nicht mit ihren Idealen überzeugt, lautet der Tenor in Biara. Generell will Falah den zunehmenden Einfluss islamistischer Parteien in der Region aber nicht losgelöst von der sozialen Situation sehen: "Satte Menschen hören nicht auf Islamisten", sagt Mordakhin. Der gewalttätige Protest in Halabja beweist ihm, dass die Menschen hier genug haben vom Leiden - "und die Islamisten ergreifen nur zu gerne die Chance, sich um die Leute zu kümmern!"

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