Zur Vermenschlichung beitragen

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Seit dem Kosovo-Krieg herrscht blutige Feindschaft zwischen den Albanern und den Ashkali, der Minderheit der albanisierten Roma im Kosovo. Karl Helmreich, Benediktiner aus Melk, arbeitet im Land an der Aussöhnung dieser Gruppen.

Nach dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien begann Karl Helmreich, Frater im Benediktinerorden Melk, ein Wiederaufbauprojekt in der 3.000 Einwohner-Stadt Magure im Kosovo. Kontakte zu dieser Ortschaft und ihrer Bevölkerung hatte er durch seine Arbeit für Kosovo-Albanische Flüchtlinge schon Jahre vor dem Krieg geknüpft. Unterstützt wird er von der Evangelischen Diakonie, den Caritas-Organisationen von Salzburg, Linz und St.Pölten sowie dem Benediktinerstift Melk. Erst im Laufe seiner Arbeit fiel Helmreich die Diskriminierung der Ashkali, der albanisierten Roma, und anderer Minderheiten auf. Er passte daraufhin das Projekt den neuen Einsichten an, sodass auch die Ashkali in den Genuss des Wiederaufbauprogrammes gelangen. Helmreichs Projekt gehörte zu den ersten, welches auf die Bedürfnisse der innerkosovarischen Minderheiten reagierte. Vor dem Krieg lebten 150.000 Ashkali, Roma und andere Minderheiten - Serben nicht miteingerechnet - im Kosovo. Heute sind es noch 10.000.

die furche: Was hat Sie auf die besondere Situation der Minderheiten im Kosovo aufmerksam gemacht?

karl helmreich: Magure ist zu 90 Prozent zerstört worden. Fast jedes albanische Haus war betroffen. Aber in Magure haben auch 1.400 Ashkali gelebt. Deren Häuser wurden nach dem Krieg von den Albanern zerstört. Und die letzten Ashkalifamilien, die dort noch gelebt haben, sind von einem Tag auf den anderen vertrieben worden. Erst im Lauf der ersten Monate unserer Wiederaufbauarbeit im Kosovo ist uns die Situation der Ashkali bewusst geworden. In Magure versuche ich nun seit zwei Jahren eine Rückkehr dieser Menschen zu ermöglichen, aber bis jetzt war der Widerstand zu groß, es ging nicht. Bis jetzt.

die furche: Wie wollen Sie eine Aussöhnung zwischen den Gruppen erreichen?

helmreich: Zuerst haben wir uns entschlossen, dort zu beginnen, wo noch Ashkali leben, wo sie nicht vertrieben wurden. Das war in den Ortschaften Hallaq i Vogl und in Henc, unweit von Magure entfernt. Unser Plan war, dass wenn unsere Arbeit in Hallaq und Henc gut gelingt, können wir dadurch auch den Boden in Magure aufweichen. Wir haben aber geglaubt, es würde schneller gehen, eventuell sogar noch im selben Jahr, also 2000. Gescheitert ist es aber schließlich an einem schrecklichen Vorfall: Bei einem Rückkehrprojekt, das vom UNHCR begleitet worden war, wurden vier Ashkali bestialisch ermordet. Unter diesen Umständen wollten die Askali dann auf keinen Fall mehr zurück. Und auch uns wurde klar, dass eine rasche Rückkehr zu riskant ist und die Ashkali massiv gefährden würde. Bedenken Sie, dass innerhalb von zwei Jahren im 400-Seelen-Dorf Hallaq zwölf Anschläge gegen Ashkali verübt wurden. Außerdem fehlen flankierenden Sicherheitsmaßnahmen. Magure hat inzwischen keinen KFOR-Posten mehr und auch keine Polizeistation.

die furche: Was steckt hinter der Feindschaft gegenüber den Ashkalis?

helmreich: Für einen Teil der Albaner ist es immer noch so, dass sie unter sich bleiben wollen. Außerdem gibt es ganz massive Vorwürfe gegen die Ashkali, sie hätten gemeinsame Sache mit den Serben gemacht. Geht man den Vorwürfen genauer nach, erweisen sie sich aber als nicht haltbar. Aber diese allgemeinen und plakativen Vorwürfe kommen immer wieder neu, sind unausrottbar. Das Erschütterndste in der Anfangszeit war für mich, dass die Ashkali beim Begräbnis ihrer von den Albanern getöteten Angehörigen vollkommen unter sich blieben. Es hat nicht einen Albaner gegeben, der gesagt hat, dass ihm das leid tut. Es hat niemand gegeben, der gesagt hat, mit diesen Anschlägen können wir uns nicht identifizieren. Nichts. Totale Funkstille.

die furche: Trotzdem, es hat doch erste Annäherungen bereits gegeben. Wie ist es dann aber doch dazu gekommen?

helmreich: Nach einem der Attentate, bei dem vier Ashkali, drei junge Väter und ein 16-jähriger Junge ermordet wurden, hat der Vorsitzende der Ashkalipartei beschlossen, die vier nicht einzugraben, bevor sich nicht alle anderen Parteienvertreter öffentlich gegen dieses Verbrechen aussprechen. Das ist dann wirklich gelungen. Die Vertreter der großen Parteien haben das erste Mal dazu Stellung bezogen und gezeigt, dass sie nicht einverstanden sind. Und das Kosovo-Fernsehen hat darüber berichtet. Neuerdings gibt es jetzt eine Toleranzgruppe innerhalb der Menschenrechtsorganisation der Albaner, wo alle Minderheiten vertreten sind. Die Gruppe verfolgt jetzt auch die Menschenrechtsverletzungen, die Minderheiten betreffen. Früher hat sich die Menschenrechtsorganisation nur um Menschenrechtsverletzungen an den Albanern gekümmert, die in der langen Phase der serbischen Unterdrückung begangen wurden.

die furche: Sucht beziehungsweise findet die Polizei, respektive die UNMIK die Attentäter?

helmreich: Die Schwierigkeit ist, dass keiner im Besitz des Vertrauens der Ashkali ist. Bei den Minderheiten kommt noch ein zweites Problem dazu, dass alle diese Polizeiorganisationen sich albanischer Dolmetsch bedienen. Ein Minderheitenangehöriger wird nie so offen und angstfrei die Dinge darlegen, wenn der Dolmetsch ein Albaner ist. In einigen Bezirken gibt es schon positive Ansätze, dass dem Rechung getragen wird. Und bei den Serben ist es ohnehin anders, weil die natürlich auch einen serbischen Dolmetsch dabei haben. Aber bei den Ashkali wird dem immer noch nicht genügend Rechnung getragen. Die Aufklärungsquote bei den Attentaten ist auf jeden Fall äußerst gering.

die furche: Welche Religion haben die Ashkali?

helmreich: Die Ashkali sind fast allesamt Muslime wie die Albaner auch. Da ist eigentlich kein Unterschied. Was noch zu bemerken ist: In Hallaq hatten sie vorher einen gemeinsamen Friedhof. Dann haben die Albaner gesagt, da kommt jetzt kein Ashkali mehr rein. Die Ashkali haben sich dann ein Stück Feld für einen eigenen Friedhof gekauft. Vor dem Krieg haben sie auch gemeinsam die Moschee besucht. Das war selbstverständlich. Seit dem Krieg gibt es das nicht mehr.

die furche: Könnte es durch den Islam zu einer Versöhnung kommen?

helmreich: Es kommt halt immer darauf an, wer wie aktiv welche Rolle betreibt. Ich habe den Eindruck, wenn der Hodscha ein Albaner ist, dann wird er nicht sehr offensiv gegen seine albanische Bevölkerung vorgehen. Das ist ähnlich wie bei uns. Da bewegt sich die Kirche ja auch immer sehr vorsichtig. Nur keine Wellen schlagen. Die religiösen Führer riskieren nichts. Die haben ja alle Familien und sind dort verwurzelt. Die werden nicht offensiv. Und darum verändert sich so schwer etwas.

die furche: Ein wesentliches Anliegen von Ihnen ist, dass das Projekt "bodenständig" bleibt.

helmreich: Ein wesentliches Element unserer Arbeit ist, dass wir ganz nahe bei den Menschen, mitten im Ort leben. Wir waren ganz konkret auf der Trennlinie zwischen den Albanern und den Ashkali. Für beide offen und zugänglich. Aber eben mitten drunter. Sicher gibt es in der Versöhnungsarbeit verschiedene Ebenen. Es ist auch wichtig mit hochrangigen Führern und politischen Gestalten Kommunikation zu führen. Aber die eigentlichen Probleme sind ganz konkret vor Ort, und das braucht eine Bearbeitung und ein Einlassen vor Ort. Das kriegt jemand nicht mit, wenn er meinetwegen in Prishtina wohnt, zu irgendeinem Treffen kommt und dann fährt er wieder weg. Das sind total verschiedene Muster und ich glaube, dass so konfliktbeladene Dinge eine Bearbeitung vor Ort brauchen.

die furche: Sehen Sie es als Vorteil oder Nachteil, dass sie und Ihre Mitarbeiter Ausländer sind?

helmreich: Ich glaube schon, dass es Außenstehende internationaler Herkunft braucht. Jemand der von außen kommt und hilfreich ist, die Gruppen miteinander in Berührung zu bringen und wechselseitige Vorurteile zu bearbeiten. Das ist das eine. Und das andere ist eben: Konflikte ergeben sich anhand ganz konkreter Dinge und da muss man dran sein. Wie Hilfe verteilt wird, wer was bekommt, oder in der Zusammenarbeit.

die furche: Welche Chancen geben Sie der weiteren Versöhnungsarbeit zwischen Albanern und Ashkali?

helmreich: Ich denke schon, dass für humanitäre Initiativen Erfolgschancen bestehen. Ich denke da konkret auch an einen Albaner, der beim UNHCR angestellt ist und der durch lange intensive Arbeit das Vertrauen der Ashkali gewonnen hat. Wenn also ein Projekt einen langen Atem hat, dann hat es durchaus auch Erfolgsaussichten. Was auf der internationalen Ebene so schwierig ist, ist der häufige Wechsel der handelnden Personen. Das macht vieles unfruchtbar. Ein halbes Jahr Amtszeit für wichtige Funktionen ist einfach ein Witz.

die furche: Wo ist das so?

helmreich: Auf der UNMIK-Ebene gibt es sehr viel Wechsel. Auch bei OSZE-Beamten und so weiter. Bis sich jemand eingearbeitet hat, bis er ein Gespür bekommt, bis er das Vertrauen der Leute gewonnen hat - das braucht einfach Zeit, das geht nicht im Vorbeigehen. Und vor allem bei den Minderheiten braucht es sehr viel Zugehen und Nachgehen. Nicht nur warten, bis die Leute kommen.

die furche: Was motiviert Sie in Ihrer Tätigkeit als Friedensarbeiter?

helmreich: Wenn ich zum Beispiel sehe, dass vor Ort Blockierungen im Miteinander allmählich wieder aufgehoben werden, dass Menschen wieder aufeinander zugehen und den anderen neu entdecken und schätzen lernen. Das haben wir erlebt. Ich glaube daran, dass Verhärtungen von unten immer wieder aufgebrochen werden können und dass Vermenschlichung von unten passiert. Das ist es, wobei wir mithelfen wollen.

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