Michel Serres - Philosoph Michel Serres (1930-2019) - © APA/AFP/Joel Saget

Vordenker einer „Kultur des Dritten“

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Er verstand sich als Mittler zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, sein Ziel war ein enzyklopädisches Wissen. Der französische Philosoph strebte eine Synthese an, um nach und nach eine Welt zusammenzusetzen: Michel Serres entwarf „eine Kultur des Dritten“, in der die fachspezifischen Trennungen aufgehoben werden. Den Exponenten solch einer Kultur bezeichnete er als „gebildeten Dritten“, der sich in den Naturwissenschaften auskennt und zugleich literarisch gebildet ist.

Serres interessierte sich für „große Erzählungen“, die von Biologen, Paläoanthropologen oder Physikern stammten, wie die „großen Erzählungen“ über die Herkunft des Menschen aus Afrika oder von der Entstehung des Universums.

Ein zentrales Thema war für ihn die Kommunikation mit digitalen Medien: Diese bedeuten das Ende einer Ära, in der das Wissen zentralisiert war; in der ein Informationsaustausch zwischen Sender und Empfänger stattfand. Nun erfolgt die Kommunikation in einem mehrdimensionalen Netzwerk, in dem ein Sender mit anderen Sendern in Verbindung steht. Diese Einsicht bedeutet für ein philosophisches Denken, das sich auf der Höhe der Zeit bewegt, Flexibilität und Mobilität zu entwickeln. An die Stelle von Referenzen treten Interferenzen, Überlagerungen und Überschneidungen, die eine „Philosophie der Gemenge und Gemische“ erforderlich macht, die nicht länger auf Eindeutigkeit setzt. Serres verlor sich jedoch nicht im undurchschaubaren Labyrinth der elektronischen Medien. In Büchern, Gesprächen und Interviews übte er scharfe Kritik an Missständen und Defiziten der globalisierten Gesellschaft. Mit großem Unbehagen beo­bachtete Serres die Zersiedelung der Landschaft oder die Einheitskulturen der Landwirtschaft. Der Philosoph kritisierte auch die Gleichgültigkeit und Saturiertheit der westlichen Industriegesellschaften und setzte sich für sogenannte „Wohlstandsverlierer“ ein. Eine Philosophie, eine „neue Weisheit“, wie sie Serres propagierte, kümmert sich auch um jene Menschen, die am Rande stehen: „Kind, Greis, Jugendlicher, Migrant, Kranker, Sterbender, hungernd, verrückt vor Schmerzen – Ecce homo, das ist der Mensch“. Am 1. Juni ist Michel Serres 88-jährig verstorben.

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