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Die Schüsse bei der Batman-Premiere von Aurora/Colorado haben wie immer in solchen Fällen eine Debatte über mögliche Hintergründe nach sich gezogen. Doch für solche Taten gibt es keine befriedigenden Erklärungen.

Fast auf den Tag ein Jahr nach dem Amoklauf des Anders Behring Breivik in Norwegen wieder eine Wahnsinnstat, die weltweit Schrecken und Fassungslosigkeit hervorrief: die Schüsse von Aurora/Colorado bei der Premiere des neuen Batman-Films "The Dark Knight Rises“ (siehe auch Seite 14/15).

Als "intelligenter Einzeltäter“ wurde der mutmaßliche Attentäter James Holmes bezeichnet. Auch Breivik dürfte das gewesen sein, ungeachtet des Gutachterstreits um seine Zurechnungsfähigkeit. Im Begriff "Einzeltäter“ verdichtet sich die Ratlosigkeit: Die Gründe für die Tat liegen demnach in den Abgründen des Täters. Das zu akzeptieren, fällt uns offenbar schwer. Leichter tun wir uns mit Anschlägen, die einer ideologisch möglichst eindeutig zuordenbaren (rechts-, linksextremen, islamistischen …) Gruppierung entspringen. Daher gibt es ja auch immer die Versuche, den Einzeltäter doch noch irgendwo einzuordnen und zu verorten - was natürlich nie ganz falsch ist, weil der Mensch keine Nomade ist und auch noch der versponnenste und verstiegenste Einzelgänger, Eigenbrötler, Tüftler seine sozialen und weltanschaulichen Prägungen erfahren hat.

Einzeltätertheorien

Bei diesen Einordnungen treten auch unverkennbar unterschiedliche Interessenlagen zutage: So war ein Gutteil der österreichischen Meinungsbildner bestrebt, den Briefbombenbauer Franz Fuchs entgegen seiner Klassifizierung als Einzeltäter als Pflanze des angeblich notorischen braunen Sumpfes darzustellen. Demgegenüber durfte oder musste Kampusch-Entführer Wolfgang Priklopil ein Einzeltäter bleiben, weil das publizistische juste milieu auf das mit diesem Fall potenziell verbundene Netzwerk (Kinderpornoring u. Ä.) weniger allergisch reagiert (was natürlich nicht heißen soll, dass nicht Priklopil trotzdem ein Einzeltäter, Fuchs aber zumindest theoretisch doch keiner gewesen sein könnte).

Breivik wiederum lief eine Zeit lang als "christlicher Fundamentalist“ - was dem verworrenen Amalgam seines Weltbilds, wie es sich in seinem "Manifest“ und einem Video im Vorfeld der Anschläge darstellt, nur bedingt entspricht, dafür aber dem Mainstream der veröffentlichten Meinung. (Der stellvertretende Chefredakteur des niederösterreichischen ORF-Landesstudios, der per Rundmail an die Mitarbeiter diese Sprachregelung abstellen wollte - statt "christlicher Fundamentalist“ sollte es "religiöser Fanatiker“ oder "Rechtsextremist“ heißen -, wurde indes kurioserweise von der Medienbehörde KommAustria verurteilt.)

Nun also James Holmes: Mangels ideologischer Indizien wird einstweilen die Debatte über Gewalt im Film und die leichte Beschaffbarkeit von Waffen in den USA geführt. Beides zählt zum sattsam bekannten Standardrepertoire medialer Aufbereitung solcher Anlässe.

Entsicherungen

Nun soll man Gewaltexzesse auf der Leinwand oder, mehr noch, im Internet nicht bagatellisieren - und die Haltung der meisten Amerikaner zum Thema Waffenbesitz ruft in Europa aus guten Gründen vielfach Kopfschütteln hervor (die Bluttat von Aurora ließ die Waffenkäufe nicht etwa sinken, sondern in die Höhe schnellen …).

Aber - abgesehen davon, dass "The Dark Knight Rises“ gar nicht besonders brutal sein dürfte - als Erklärung für das kaltblütige Töten von James Holmes und anderen taugt weder das eine noch das andere Phänomen.

Ja, es stimmt, wir leben in einer entsicherten Gesellschaft - was grosso modo mehr Freiheit(en) aber auch mehr Risiko bedeutet. Die Schwankungsbreite der Stimmungslagen ist größer, Hemmschwellen sinken, Gereiztheit steigt, zentrifugale Kräfte stärken die Extreme. Da mag auch der einzelne leichter ausrasten. Doch im Letzten ist es wohl so, dass der Mensch selbst von seinem Wesen her ein Entsicherter ist. Ein Einzeltäter, der zu Großartigem fähig ist - aber im Extremfall sich selbst und seinesgleichen zur tödlichen Gefahr werden kann.

rudolf.mitloehner@furche.at

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