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Respekt vor Tradition kann sich ins Gegenteil von "traditio" - "Übergabe, Weitergabe" - verkehren: in Behinderung von Weitergabe und schließlich in Vorenthaltung. Die Angst vor der Veränderung von Weitergabeformen kann so groß werden, dass sie im Endeffekt die Weitergabe selbst aufs Spiel setzt. In der Kirche dürften wir so weit sein. Nicht nur, aber besonders im Hinblick auf den "Dienst der Versöhnung", auf die Bußpraxis der Kirche wird das spürbar.

Weiterzugeben, zu "tradieren" ist die Botschaft Jesu von der Bereitschaft Gottes, auf unsere Umkehr mit Vergebung und dem Geschenk eines Neuanfangs zu antworten. Weiterzugeben, zu "tradieren" sind die sakramentalen Zeichen des Heiles an die Menschen, die dem Ruf zur Umkehr folgen, Gott und einander um Vergebung bitten und neue Anfänge setzen wollen. Ein Dienst von ungebrochener Aktualität. Tatsächlich aber haben wir es mit einem Stillstand in diesem zentralen Dienst zu tun.

Die "Ohrenbeichte", zum alleinigen sakramentalen Zeichen der Vergebung geworden, ist nur mehr wenigen verständlich und für eine wachsende Zahl von Glaubenden nicht mehr praktikabel. Auf Seiten der Kirchenleitung gibt man sich mit Berichten über noch stärker frequentierte Beichtorte zufrieden und belässt es bei beschwörenden Aufrufen an uns Priester, die Beichte offensiver anzubieten: In den Bußgottesdiensten sollten wir keinesfalls von Vergebung und Lossprechung reden und die Menschen auf die Beichte verweisen.

Dass die Krise der "Ohrenbeichte" den Bedarf an einer Neugestaltung der Bußpraxis deutlich machen könnte und nicht vor allem mit einem Schlendrian bei Seelsorgern und Gläubigen zu tun hat, darf nicht einmal diskutiert werden. Wird da unter Treue zur Tradition nicht eher die Bewachung der Asche verstanden als die Weitergabe der Glut?

Der Autor ist Pfarrer in Probstdorf und Universitätsseelsorger.

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