Der Geschichte entlang

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"Oh, hier war ich ja noch nie!" Das ist eine Reaktion, die Michael Cramer von Berlinerinnen und Berlinern oft hört. Der Europaabgeordnete der deutschen Grünen macht jedes Jahr Führungen entlang des Berliner Mauerradwegs. Das ist ein 160 Kilometer langer Radweg, der 120 Kilometer rund um das ehemalige Westberlin und 40 Kilometer entlang der Grenze zwischen den zwei einstigen Stadthälften führt. Auf westlicher Seite gab es damals einen Zollweg, den die westlichen Alliierten angelegt hatten. Dort patrouillierten sie in ihren Jeeps neben der Berliner Polizei. Westberliner hatten Zugang zu diesem Streifen. Ganz anders sah es im Osten aus. Da lag der in der Nacht grell ausgeleuchtete Todesstreifen, wo Schießbefehl galt. Vom Westen her war der nicht einsehbar.

Geschichte und Geschichten

Die 900 Schilder, die den Radweg übersichtlich machen, sind in der ungewöhnlichen Höhe von 3,60 Metern angebracht. "So hoch war die Mauer", sagt Michael Cramer. Es sind keine Hinweisoder Verkehrsschilder, sondern Tafeln, die eine Geschichte erzählen. So wird daran erinnert, wo Flüchtlinge erschossen wurden, damit, so Cramer, "die Leute die damals ermordet wurden, nicht anonym bleiben". Noch wenige Monate vor dem Fall der Mauer starb der 20-jährige Chris Gueffroy, von zehn Schüssen durchlöchert, am Britzer Zweigkanal in Berlin-Späthsfelde. An seinen Tod erinnert eine Gedenkstele. Die 58-jährige Ida Siekmann sprang zwei Wochen nach dem Mauerbau aus ihrem Haus in der Bernauer Straße 48 auf den westlichen Gehsteig und verletzte sich dabei tödlich. Auch erfolgreiche Fluchten sind entlang des Radwegs dokumentiert. So wird an der Bernauer Straße an die Flucht des Volkspolizisten Conrad Schumann erinnert, der am 15. August 1961 über den Stacheldraht sprang.

Spionagetunnel

Am Mozartring im Bezirk Rudow hatten die USA noch in den 1950er-Jahren, also lange vor dem Mauerbau, einen 450 Meter langen Spionagetunnel angelegt, von dem aus sie die Telefonnetze der sowjetischen Streitkräfte im Osten anzapften. 50.000 Tonbandspulen mit Mitschnitten von 440.000 Gesprächen waren die Ausbeute bevor die Sowjets, durch einen Doppelagenten gewarnt, der Spionage ein Ende machten.

Cramer hat sich um den Erhalt dieses Erinnerungsweges verdient gemacht. Er erreichte, dass Senat und Abgeordnetenhaus von Berlin die verbliebenen Mauerstücke 2007 unter Denkmalschutz stellten und den fahrradfreundlichen Ausbau des ehemaligen Grenzstreifens veranlassten. Seit dem Mauerfall sind 18 Jahre ins Land gezogen. Da sich die Landesregierungen von Berlin und Brandenburg nicht rechtzeitig das Wegerecht gesichert haben, sind inzwischen einige Grundstücke verkauft und bebaut worden. Auch die Trasse der Dresdner Bahn unterbricht den Mauerradweg.

Es lohnt sich, sich einer geführten Radwanderung anzuschließen. Verschiedene Institutionen bieten das an. Cramer selbst macht das seit 2001 jedes Jahr. Er fährt dann in acht Etappen die Mauer ab, alle 14 Tage je eine Etappe, jeweils Samstagnachmittag. Neben Berlinern aus Ost und West finden sich da Teilnehmer aus so weit entfernten Ländern wie den USA oder Neuseeland. Cramer: "80 Prozent der Menschen, die nach Berlin kommen, kommen wegen der Geschichte".

Bikeline Radtourenbuch Berliner Mauer-Radweg

Eine Reise durch die Geschichte Berlins, Von Michael Cramer, 7. überarb. Aufl., Esterbauer 2014.212 S., kart., € 13,90

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