Feingold und die Last der Täter

Werbung
Werbung
Werbung

Marko Feingold, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg wird 100. Das offizielle Österreich ehrt ihn - und das inoffizielle?

Feingold ist nicht Tennenbaum. Feingold lässt sich sowas nicht gefallen. Feingold schimpft. Feingold gibt nicht nach. Feingold fällt immer was ein. Solche echten Österreicher hätte Österreich nach 1945 viele, viele mehr gebraucht, dann hätten sich der Herr Karl und seinesgleichen nicht so leicht getan. Wir erinnern uns: "Da war a Jud im Gemeindebau, a gewisser Tennenbaum. Sonst a netter Mensch“, sagte der Herr Karl: "Da ham‘s so Sachen gegen de Nazi g‘schrieben g‘habt auf de Trottoir … und der Tennenbaum hat des aufwischen müssen. Net er allan, de anderen Juden eh aa … hab i ihm hingführt, dass ers aufwischt. Und der Hausmeister hat zuag‘schaut und hat glacht, er war immer bei aner Hetz dabei.“ Die Hetz hat sieben Jahre gedauert. Für die Tennenbaums, die Rosenblatts, Goldmanns oder Feingolds in Österreich war es freilich keine Hetz, sondern sieben Jahre Hatz.

Und: "Nachm Krieg is er z‘ruckkumma, der Tennenbaum. Is eahm eh nix passiert …“, sagte der Herr Karl: "Hab i ihm auf der Straßen troffen. I gries eahm freundlich: "Habe die Ehre, Herr Tennenbaum! Der hat mi net ang‘schaut. I grüaß ihn no amal: D‘Ehre, Herr Tennenbaum … Er schaut mi wieder net an. Hab i ma denkt … Na bitte, jetzt is er bees.“

Bös war er natürlich auch, der Feingold und zornig. Wie er nach sechs Jahren in den Konzentrationslagern Auschwitz, Neuengamme, Dachau und Buchenwald zurück nach Österreich gekommen ist, und es noch schlimmer war als in Deutschland, wo die Bewohner von Weimar, keine acht Kilometer vom KZ Buchenwald entfernt, nie etwas von diesem Lager und dem Leid und dem Tod dort mitbekommen haben wollen. "Als wir nach Österreich zurückkamen, hörten wir Aussprüche wie: ‚Was wir mitgemacht haben! Seid‘s froh, seid‘s im Lager gewesen, habt‘s keine Bombardierungen gehabt‘“, sagt Marko M. Feingold in seiner Überlebensgeschichte "Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh“, die zu seinem hundertsten Geburtstag am 28. Mai neu aufgelegt wurde (Otto-Müller Verlag): "Ich hatte damals natürlich eine Wut auf die Leute, aber ich konnte doch nicht jedem eine in die Goschn‘n hauen, auch wenn sie es sich verdient hätten. Es wäre möglicherweise bei manch einem die einzige Strafe gewesen.“

Eine Ohrfeige für die Täter

Edi Goldmann, ein Mithäftling von Feingold in Buchenwald und Geschäftspartner beim Neuanfang in Salzburg, konnte zumindest diese Strafe austeilen: Vor einem Büro in Salzburg, in dem sich Deutsche bescheinigen lassen konnten, dass sie sich während des Krieges in Österreich ordentlich aufgeführt hatten, traf Goldmann auf einen früheren Richter und haute ihm links und rechts eine runter und schimpfte: "Du Sauhund, du willst dir hier eine Bestätigung holen, dass du dich anständig verhalten hast? Du wirst doch hoffentlich noch erkennen, wer ich bin?“ Der Richter hatte ihn Jahre zuvor, obwohl Goldmanns Vater getauft und er katholisch erzogen worden war, mit den Worten ins Gefängnis gebracht: "Ja, diese Mischlinge, diese Sauhunde, diese Juden, das kennen wir!“ Dass viele Nazis nicht einmal eine solche Tachtel einstecken mussten und völlig unbeschadet ins neueÖsterreich hinüber wechseln konnten, wurmt Feingold bis heute. In einem Interview mit der Austria Presseagentur anlässlich seines Hunderters stößt ihm nach wie vor ungut auf, dass sich Österreich nie ehrlich seiner nationalsozialistischen Vergangenheit gestellt habe: "Wenn man das fünf Jahre von 1945 bis 1950 ordentlich gemacht hätte, wäre heute längst eine Ruhe“, ist Feingold überzeugt. "So ist bei der Aufarbeitung der Vergangenheit alles offen geblieben. Wir haben da wirklich nicht aufgeräumt.“

Ganz mag man da als Nach-Nachgeborener Feingold nicht zustimmen. Besonders nach der öffentlichen Diskussion über die österreichische Mitverantwortung im Nationalsozialismus rund um die Waldheim-Affäre seit 1986 ist nicht mehr alles offen geblieben. Und auch die Wehrmachts-Ausstellung zehn Jahre später und der öffentliche Schlagabtausch darüber waren Teil einer ehrlichen Aufarbeitung dieser Vergangenheit. Dass das einem Feingold, den die antisemitische Grundverfasstheit Österreichs Zeit seines sehr langen Lebens von Anfang an verfolgt, getreten, schließlich fast umgebracht und danach immer noch schikaniert hat, nicht zufrieden stellt, ist auch verständlich. Dafür hallt zu sehr nach wie vor der Satz in seinem Ohr: "Noch sind die Opfer nicht befriedigt, schon werden die Täter von ihren Lasten befreit.“

Der Flüchtlingshelfer

Aber wie gesagt, Feingold ist nicht Tennenbaum. Feingold hat sich das nicht gefallen lassen. Feingold hat nicht nachgegeben. Feingold ist immer was eingefallen. Dem Wiener Feingold wurde an der Enns der Übertritt in die sowjetische Besatzungszone und damit die Rückkehr nach Wien verweigert. So blieb er in Salzburg. Ein Glück für die Stadt. Damals und bis heute. Feingold engagierte sich als Leiter der Flüchtlingseinrichtungen in der Stadt. Hunderte Personen wurden mit Unterkünften und Essen versorgt. In weiterer Folge half er Tausenden Juden bei ihrer Flucht nach Palästina. Zuerst über den Brenner, später über den Reschen. Als die Engländer, die damals in Österreich und in Palästina noch Besatzungmacht waren, davon Wind bekamen und die Kontrollen verstärkten, da sie den illegalen Zuzug von europäischen Juden nach Palästina bremsen wollten, zogen die Flüchtlingskonvois zu Fuß über den Krimmler Tauern. Daran wird seit 2007 jährlich erinnert.

Und Feingold war immer der Macher. Sie wünschen, wir spielen, Sie brauchen, wir liefern, könnte man seine Unternehmensphilosophie beschreiben, mit der er später auch sein Geschäft "Wiener Mode“ in Salzburg betrieben hat. Von Gott heißt es, er schreibe manchmal auf krummen Zeilen gerade. Feingold musste damals oft auf sehr krummen Zeilen schreiben, damit am Ende etwas Gerades und Gutes rausgekommen ist. Bezeichnend auch die Szene, in der ihm die Salzburger Landesregierung Lastautos für den Flüchtlingtransport verweigern wollte. Da stellte er den Zuständigen vor die Wahl: "Wissen Sie was, es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder ich kriege die Lastautos oder die Juden bleiben da.“ Diese "Drohung“ reichte. Umgehend bekam Feingold zur Antwort: "Wieviele Autos brauchen Sie?“

Beim Lesen der Autobiographie ist es gut, die Schreckensgeschichten aus den KZs mit der Lektüre der Lebenszeit davor und danach abzuwechseln. Sechs Jahre, vier Konzentrationslager in einem durch - das geht beim Lesen schon an die Nieren, das im Stück zu er- und überleben, packt bloß ein Feingold. Und das auch nur, weil er sich als Kind im Wiener Prater, als Lehrling in einem Pelzgeschäft mit hinterfotzigen Schneidern und als Vertreter im Außendienst auf der freien Wildbahn des Marktes Überlebens-taktiken abgeschaut, angelernt und perfektioniert hat, mit denen er der Vernichtungsmaschine der Nazis trotzen konnte.

Altösterreichische Wurzeln

Die ersten knapp dreißig Lebensjahre Feingolds lesen sich wie eine Mischung aus Joseph Roth-Erzählungen und Doderer-Romanen. Marko M. Feingold ist eine urösterreichische Existenz die auf altösterreichischer Essenz beruht: Die galizischen Großeltern, die Verwandschaft in ganz Mittel- und Osteuropa verstreut, der Vater, der neben Deutsch auch Ungarisch, Slowakisch, Slowenisch, Polnisch, Ukrainisch und Russisch spricht und die Küche der Mutter, die von überallher das Beste nimmt und einem beim Lesen das Wasser im Mund zusammen rinnt. Dieses Österreicher-Sein aus unglaublich tiefen Wurzeln heraus mag auch der Grund sein, warum Feingold trotz zahlreicher Möglichkeiten zur Auswanderung in Österreich geblieben ist. Weil er mit der Muttermilch aufgesogen hat, was ein echter Österreicher ist. Und das auch lebt und sich von niemandem absprechen lässt, was andere, als scheinbares Besserstellungsmerkmal allein für sich und ihre Klientel und gegen Jüdinnen und Juden gerichtet, zu beanspruchen versuchten.

2002 ist in Salzburg ein Streit um ein Theodor Herzl-Zitat hochgekocht. Ursprünglich stand auf einer Tafel an der Neuen Residenz nur der Satz: "In Salzburg brachte ich einige der glücklichsten Stunden meines Lebens zu.“ Nach Protesten auch seitens des Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde in Salzburg, Feingold, wurde die vollständige Wiedergabe dieses Zitats durchgesetzt. Seither ist ebenfalls zu lesen: "Ich wäre auch gerne in dieser schönen Stadt geblieben, aber als Jude wäre ich nie zur Stellung eines Richters befördert worden.“ Marko M. Feingold ist Gottseidank geblieben und ist vielfach geehrt und ausgezeichnet worden. Am meisten Genugtuung bereiten ihm aber Dankesschreiben, die er nach Zeitzeugen-Vorträgen in Schulen bekommt. In diesem Sinne von einem der vielen Zuhörer eines solchen Vortrags: Danke, Herr Feingold!

Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh - Überlebenserinnerungen

Von Marko M. Feingold, Otto-Müller Verlag 2012.

327 Seiten, gebunden, € 23,00

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung