Feingold - © Foto: APA / Barbara Gindl

Der 106-Jährige, der das KZ besiegte

19451960198020002020

Der am 19. September verstorbene Marko Feingold wird fehlen – als Zeitzeuge, als Lebenskünstler und als Mahner wider das Vergessen.

19451960198020002020

Der am 19. September verstorbene Marko Feingold wird fehlen – als Zeitzeuge, als Lebenskünstler und als Mahner wider das Vergessen.

Werbung
Werbung
Werbung

D ie Haflinger staunten, die Pinzgauer Kühe wunderten sich, eine derartige Gruppe Wanderer war selbst für das an Touristen gewöhnte Almvieh ein Aufschauen beim Grasen wert: David aus Gambia, Mohammad aus Afghanistan, Lobsang aus Tibet, Juan aus Syrien und Marko aus Österreich. Die ersten vier waren zusammen so alt wie der Fünfte allein, die Ausländer waren Flüchtlinge, der Inländer Fluchthelfer, die Jungen redeten von ihrer Zukunft, der alte Mann erzählte von seiner Vergangenheit. „Alpine Peace Crossing“ heißt der Titel dieser Friedenswanderung, die jedes Jahr über den Krimmler Tauern von Salzburg nach Südtirol führt. In den vergangenen Jahren regelmäßig mit dabei war der am 19. September im Alter von 106 Jahren verstorbene Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg, Marko Feingold.

Mit gutem Grund, verdankt sich der Anlass dieser Gedenkveranstaltung doch seinem Organisationstalent. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Feingold die Leitung der Verpflegungsstätte für ehemalige KZ-Häftlinge in Salzburg übertragen. In dieser Funktion unterstützte er die Flucht Tausender Juden nach Palästina. Als die Engländer, gleichzeitig Besatzungsmacht in Österreich und Palästina, den Zuzug europäischer Juden nach Palästina bremsen wollten, suchte er eine Alternativroute zu Brenner und Reschenpass: „Wir studierten die Karten und fanden diesen alten Samerweg über den Krimmler Tauern“, erzählte Feingold den mitwandernden Journalisten in die Kameras und Notizblöcke. Und war dabei um einen guten Sager nie verlegen: Als ihm die Salzburger Landesregierung Lastautos für den Flüchtlingstransport verweigern wollte, stellte er den Zuständigen vor die Wahl: „Wissen Sie was, es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder ich kriege die Lastautos oder die Juden bleiben da.“ Diese „Drohung“ reichte. Umgehend bekam Feingold zur Antwort: „Wie viele Autos brauchen Sie?“ Möglich wurde diese formal illegale Aktion auch dadurch, sagte Feingold, dass sowohl die offiziellen Behörden als auch ein großer Teil der Bevölkerung nach dem Krieg froh darüber waren, „die Juden loszuwerden“, was das „Sehvermögen“ enorm beeinträchtige.

Eine urösterreichische Mischung

Eine, die nicht wegschaute, sondern die jüdischen Flüchtlinge beherbergte und versorgte, war die Wirtin des Krimmler Tauernhauses, Liesl Geisler-Scharfet ter. Feingold setzte sich dafür ein, dass die Frau postum eine Ehrung der „Jewish Agency for Israel“ bekam. Eine offizielle Anerkennung des Landes Salzburg für die Frau scheiterte daran, dass sie in der Zeit des Nationalsozialismus Parteimitglied war, wurde bei der Friedenswanderung besprochen. Zum Ärger von Feingold: „Ich kann diese Frau nicht vergessen. Es kommt nicht darauf an, was man ist oder war, sondern was man tut.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung