Erzählen hilft beim Leben

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Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg erzählt sein Leben - ein exemplarisches jüdisches Schicksal - live und in Buchform.

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Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg erzählt sein Leben - ein exemplarisches jüdisches Schicksal - live und in Buchform.

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Er ist der geborene Erzähler - Marko M. Feingold, 1913 in Neusohl, der heutigen Slowakei, geboren -, er verbindet Schauplätze seines Lebens mit Anekdoten und lässt sein Leben wie einen Film vor seinen Zuhörern ablaufen. Ein Happy-End? Sicher, ein kleines zumindest: Hofrat Feingold ist seit 1977 der Präsident der Isrealitischen Kultusgemeinde in Salzburg, er tritt seit über 25 Jahren als "Zeitzeuge" mit Schülern in Kontakt und bekennt, dass ihm die Stadt Salzburg, die Umgebung gefällt: "Die Menschen muss ich nicht sehen".

Marko Feingold hat den Historikern Birgit Kirchmayr und Albert Lichtblau sein Leben erzählt; aus den Transkripten der mündlichen Berichte - "Ich kann nur reden", sagt der 88-Jährige feinsinnig über sich - ist die Überlebensgeschichte "Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh" entstanden. Dass viele Salzburger den Erzähler suchen, seine Kindheit, seine Flucht vor den Nationalsozialisten, seine Verhaftung sowie sein Überleben in den Konzentrationslagern Auschwitz, Neuengamme, Dachau und Buchenwald von ihm selbst hören wollten, zeigte die Präsentation des Buches im Salzburger Literaturhaus Eizenbergerhof. Hier saß Feingold, der Erzähler, der Mahner neben den beiden jungen Wissenschaftlern, die seine Vita dokumentierten; das angegebene Zeitlimit der Matinee verlor seine Bedeutung, die Zuhörer waren im Banne Marko M. Feingolds, seines Humors und seines Leides.

Humor und Bitterkeit Vordergründig erscheinen die Erinnerungen an seine Familienmitglieder, die Familie des Vaters wie die Verwandten der Mutter wie leicht erzählte Anekdoten. So etwa der im Lavoir von Onkel Leo schwimmende Fisch für das Sabbatmahl: doch Onkel Leo lebte in Warschau und die Geschichte endet mit "Leo und seine Familie sind dann vermutlich im Warschauer Ghetto umgekommen."

Scheinbar unaufgeregt führt der Erzähler die Tatsache aus, dass seine Angehörigen ermordet wurden; so satirisch ist er bei der Darstellung des Anschlusses: "Viele Österreicher behaupten doch heute, Österreich wäre überfallen worden. Da hätte die österreichische Bevölkerung damals eigentlich eine andere Stellung einnehmen müssen! Es ist alles nicht wahr, der Bockerer hat recht".

Es ist eine herbe Mischung, die Schilderungen des Charmeurs und Schelms, des modeinteressierten jungen, jüdischen Mannes, die Begeisterung für Wildlederschuhe nach Art eines Windsors, Eduard VIII., in Verbindung mit den Beschreibungen des Verlustes der Menschlichkeit, des Überlebens mehrerer Konzentrationslager. Marko M. Feingold beschreibt sich mit hörbarer Freude als körper- und modebewussten Mann, dem sein Äußeres sehr wichtig war: schicke Anzüge, beste Schuhe und eine flotte Frisur.

Es war ein Element der Entmenschlichung der Juden in den KZs, sie körperlich zu demütigen, ihnen die Haare abzurasieren; als Marko Feingold nach mehreren Wochen zum ersten Male beim Rasieren wieder in den Spiegel schaut, erkennt er sich nicht gleich: "Zwei Knochen, Nase und Kinn, das war das Gesicht." Er, so erzählt er, habe wohl mit seinen Tränen den Rasierschaum abgewaschen und aufs Abschaben vergessen. So also manifestiert sich Schrecken in der Erinnerung eines Menschen.

Im Buch bezieht sich Feingold auch auf die Verweigerung der Menschen, diese Schrecken anzuerkennen; er kann hier als Mitglied des Vereins "Erinnern", der auch die Wehrmachtausstellung nach Salzburg brachte, aus einem verzichtbaren "Vollen" schöpfen, das Vergessenwollen habe bei vielen sehr schnell eingesetzt. Seinen jetzigen Lebensort Salzburg wählte der Zufall. "Dass ich aus dem Bus, der uns von Buchenwald nach Österreich brachte, in Salzburg ausstieg, war eine spontane Entscheidung. Es hieß einfach: Jetzt steigen wir aus." Das Erzählen helfe beim Überleben, der Kontakt mit jungen Menschen belebe und motiviere ihn; der Humor tröstet, die Überlebenskraft ist gewaltig: "Ich bin nicht übersensibel, wäre ich sensibel, hätte ich mich längst aufhängen müssen."

Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh. Eine Überlebensgeschichte.

Von Marko M. Feingold. Hg. von Birgit Kirchmayr und Albert Lichtblau. Picus Verlag, Wien 2000.

329 Seiten, geb., öS 307,-/e 22,31

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