Geburt und Geboren sein

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Die Dialektik Gottes

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Die Dialektik Gottes

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Es stimmt schon: Heideggers "Vorlauf zum Tode“ ist mir in meinem Studium viel früher begegnet als Hannah Arendts "Geburtlichkeit“. Aber die christliche Theologie war halt bis vor Kurzem zu ihrem eigenen Schaden eine reine Männersache. Da deutete man dann den Geburtsschmerz vom priesterlichen Schreibtisch aus als verdiente Strafe in Folge der Sünde Evas …

Die Volksfrömmigkeit setzte da andere Akzente. Die Weihnachtskrippe war in ihr beliebter als die Kreuzigung und selbst die Auferstehungsszene. Aber da fehlt etwas: das Blut und der Schmerz und die Gefahr der Geburt. Ich fürchte, dass es der spätantike Wiedereinzug kultischer (und jüdischer) Reinheitsvorstellungen ins Christentum war, der all dies ausgeblendet hat. Jesus hatte eigentlich das kultische Reinheitsverständnis durch ein ethisch-gesinnungsorientiertes überwunden (Mk 7,20-23). Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein wurden Frauen nach der Geburt "ausgesegnet“, bevor sie wieder zum Gottesdienst zugelassen wurden.

Und was bedeutet Geborensein? Für mich: Nicht gefragt worden zu sein, ob man leben und auf den Weg zum Tod geschickt werden will. Sie sehen: Heidegger wirkt nach. Es bedeutet aber auch, von Anfang an von jemandem anderen alles geschenkt bekommen zu haben und auf den Weg der Erfahrung realer Liebe geschickt worden zu sein. Wir sind - und bleiben - verletzliche, bedürftige, abhängige Wesen, die anderen (fast) alles verdanken. Das war ja der Gedanke Hannah Arendts.

In dieser Dialektik leben wir und was wir daraus machen, das sind wir. Dass Gott sich auch in diese Dialektik begeben hat und zwar wirklich, nicht nur scheinbar, ist ein Grundgedanke des Christentums.

Und für mich die Bedingung der Möglichkeit, an Gott zu glauben.

* Der Autor ist kath. Pastoraltheologe an der Universität Graz

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