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Für Fußgänger, Radfahrer und Reiter war das strenge Schengen-Regime schon bislang kein großes Hindernis.

Die Eiseskälte der vergangenen Nacht liegt noch über den Äckern von Heinrichtsreith im nördlichen Waldviertel, aber die Vormittagssonne löst rasch die letzten Nebelschwaden auf; ein paar Fasane stolzieren herum, inspizieren die mit Reif bedeckten Ackerschollen, ein Schotterpfad schwindelt sich mitten durch das Gelände. Plötzlich ist sie da: die Noch-Schengengrenze. Doch wo versperrt ein Schlagbaum den Weg? Wo sind die Zöllner, die zur Passkontrolle auffordern? Nichts dergleichen. Was es gibt, sind die üblichen "Achtung Staatsgrenze"-Schilder sowie eine Tafel mit strengen Grenzübetrittshinweisen und den Öffnungszeiten (?) der Grenze. Damit hat es sich, einfach weitergehen oder weiterradeln und schon ist man in Tschechien.

Die Ortschaften Stalky und Safov dort schlafen noch fest, ein paar Hühner wackeln aufgescheucht über die Dorfstraßen. Genug gesehen. Zurück nach Österreich. Und schon ist die Schengengrenze wieder da. Diesmal von der anderen Seite: "Pozor - Statni Hranice", gemahnt das Schild, flankiert von einem Zollhäuschen. Das Fahrrad bremsen? Den Pass griffbereit halten? Nicht nötig, wieder niemand da. Doch, da ist jemand: "Hallo! Grüß Gott!" Ein Radfahrer, aus Langau kommend, winkt freundlich und fährt weiter.

Eine Stunde Grenzkontrolle

Zwischen Eintropfsuppe und Wiener Schnitzel erklärt der Wirt vom nahen Gasthaus Prock in Heinrichsreith die Gepflogenheiten an dieser Grenze: "Die Grenzbeamten müssen pro Tag insgesamt eine Stunde dort stehen", sagt er. Nachsatz mit Augenzwinkern: "Aber nur, wenn sie nicht woanders gebraucht werden." Fünfzehnmal oder so, erzählt der Wirt, ist er in den letzten Jahren, seit es die "unbemannte" Passage gibt, "drüben" gewesen. "Den Pass hab ich immer mit, man weiß ja nie, sicher ist sicher", doch eine Grenzpatrouille ist ihm bloß ein einziges Mal begegnet.

Rostiger Eiserner Vorhang

Noch ein Versuch an einem anderen nur für Fußgänger und Radfahrer geöffneten österreichisch-tschechischen Grenzübergang weitab der asphaltierten Durchzugsrouten: 90 Kilometer östlich von Heinrichsreith, im mit Abstand entlegendsten Winkel des Weinviertels, liegt Altprerau. Und wieder dasselbe Szenario: Äcker, ein Feldweg, plötzlich die Schengengrenze, Hinweisschilder. Unter der Überschrift "Grenzübergangsstelle" steht zu lesen: "Für Fußgänger und Radfahrer, Reiter mit Pferden, Motorräder bis 50 ccm (Staatsbürger eines Mitgliedsstaates der EU, EWR-Bürger, Schweizerbürger und deren Familienangehörige)."

Gleich daneben Überbleibsel einer düsteren Vergangenheit: Massive Betonkeile ragen aus der Erde, verbunden mit einem rostigen Metallseil - die letzten Zeugen des Eisernen Vorhangs werden mehr und mehr von Unkraut überwuchert.

Auf dem Weg nach Novy Prerov treffen sich freundlich grüßende Radfahrer, Schulkinder, ein Vermessungs-Team … "Ahoj! Dobri den!" Wo einst die berüchtigte "Todeszone" alles menschliche Zusammenleben auf Distanz gehalten hat, wird heute geradelt, spaziert oder geritten. Und in einem Monat wird es hier sowieso auch offiziell keine Schengengrenze mehr zu Tschechien geben - doch Altprerau, Heinrichsreith oder Langau kann das eigentlich egal sein.

Der Autor ist Chronik-Redakteur der Austria Presse Agentur.

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