Leben ist kein Selbstzweck

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Die Fortschritte auf dem Gebiet der Biologie und der Biomedizin haben zur Etablierung eines neuen Zweiges der Ethik geführt, nämlich der so genannten Bioethik. Sie befasst sich mit den ethischen Problemen, welche die neuen Erkenntnisse über die Grundbausteine des Lebens und ihre Anwendungsmöglichkeiten aufwerfen. Dem Namen nach handelt es sich um die "Ethik des Lebens". Bei genauerem Hinsehen zeigt sich freilich, dass der Begriff des Lebens vieldeutig und ungenau ist. Zu beklagen ist ein geradezu inflationärer Gebrauch des Wortes "Leben".

Der ethischen Urteilsbildung ist dieser Umstand freilich abträglich. Wo suggestive Formeln an die Stelle klarer Begriffe treten, verflacht die Ethik zum moralischen Appell. Denn es ist zwar nichts konkreter als das Leben, aber auch nichts abstrakter als sein allgemeiner Begriff. Erschwerend kommt hinzu, dass der Lebensbegriff ähnlich wie derjenige der Natur häufig religiös aufgeladen wird. Darin besteht auch für die christliche Ethik eine Gefahr. Sofern sie nämlich in den Sog eines unreflektierten Gebrauchs des Wortes "Leben" gerät, mit einem religiösen Durchlauferhitzer für Allerweltsweisheiten verwechselt zu werden.

Eine Ethik, die sich ausschließlich an den Lebensinteressen des Menschen orientiert, widerspricht nicht nur unserer heutigen biologischen und ökologischen Einsichten, sondern auch dem biblischen Schöpfungsglauben. Dass alles Leben und zwar als solches heilig sein soll, wie immer wieder eingeklagt wird, klingt nur beim ersten Hören wie eine äußerste Radikalisierung der Ethik, läuft aber in Wahrheit auf ihre Abdankung hinaus.

"Wo alles heilig ist, ist nichts mehr heilig" (Christoph Türcke).

Wohl ist das Leben eine kostbare Gabe, aber kein zu vergötzender Selbstzweck.

Ulrich H. J. Körtner ist Professor für Systematische Theologie H.B. an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.

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