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In den Skulpturen des Bildhauers Lois Anvidalfarei spiegelt sich menschliche Körperlichkeit wider. Auch Christus, der Gekreuzigte, ist ein "Mensch zum Angreifen".

Innsbruck in den letzten Märztagen: Beim Haus des 87-jährigen Architekten Markus Prachensky am Bergisel kommt ein Auto mit Anhänger aus Südtirol an: Vier Leute schleppen eine zentnerschwere Bronzestatue und montieren sie auf ein Stahlgerüst im Garten. Sie ist die zweite Figur der vierteiligen "Versöhnungsgruppe", die der Südtiroler Bildhauer Lois Anvidalfarei gestaltet. "Gauja" - ladinisch: Schuld - heißt die liegende Skulptur, gen Osten hängt die andere Figur "Rossagn", Morgenröte.

Zwischen Schuld und Morgenröte findet Versöhnung statt, so der greise, aber durch und durch vitale Architekt, der in Anvidalfareis Versöhnungsgruppe, die Summe seines Lebens zusammengefasst sieht: Prachensky hat beide Weltkriege erlebt, fand sich oft auf der Seite der Täter, aber auch der Opfer wieder. Von den einstigen Konflikten um Südtirol bis zum Irakkrieg spannt er den Bogen, um zu begründen, warum die Figurengruppe "Versöhnung" wie kaum etwas in die Zeit und in sein Leben passt.

Die zentralen Figuren der Versöhnungsgruppe gibt es erst im Modell in Anvidalfareis Atelier in Pedratsches: Ein praller, überlebensgroßer Christus aus Gips hängt da; er hat seine Arme vom Kreuz genommen und breitet sie über eine pralle Frauengestalt - Maria Magdalena. Ob Christus Maria berührt oder nur fast berührt, bleibt offen: Das "Noli me tangere - Greif mich nicht an", wie der Auferstandene im Johannesevangelium zu Maria Magdalena sagt, scheint auch in der Versöhnungsgruppe gegenwärtig.

Anvidalfareis Figuren haben viel "Fleischliches" an sich: "Ich mache Menschen", charakterisiert er seine Skulpturen; und Menschen sind aus Fleisch und Blut, etwas zum Angreifen. Nicht immer sind die Figuren so üppig ausgefallen wie beim kolosshaften Adam, von dem ein Abguss vor Anvidalfareis Scheune steht. Manche seiner Christus-Skulpturen sind schlank, aber auch an ihnen ist die Körperlichkeit durch und durch spürbar. Auch Jesus war ein Mensch aus Fleisch und Blut, er war angreifbar - das ist es, was Anvidalfarei interessiert: "Seht den Menschen"! Jener Ausruf des Pilatus über den gegeißelten Jesus, wie ihn die Passionsgeschichte überliefert, wird in Anvidalfareis Christusfiguren sichtbar. Wobei - wie in der auf Seite 1 dieser Furche abgebildeten Statue eines Gekreuzigten "auf Zehenspitzen" - schon die Zukunft der Auferstehung mitgedacht und -abgebildet ist.

Christus - "natürlich nackt"

Roberta Dapunt, Anvidalfareis Frau ist Lyrikerin, die ihre Gedichte in italienischer Sprache verfasst, beschäftigen sich in eindringlichen Bildern auch mit den Arbeiten ihres Mannes. Wie in einer abgelaufenen Zeit/ rastet mein Körper unter einem Christus, der passiert ist. / Ich sitze Modell fürs moderne Bild der Vergebung ...: Solche Zeilen finden sich in Dapunts Gedicht über Christus und Magdalena der Versöhnungsgruppe.

Lois Anvidalfarei, Jahrgang 1962, lebt in Pedratsches im Gadertal, einem Südtiroler Tal, in dem Ladinisch gesprochen wird. Eine Touristenregion und mit dem nahen Grödnertal die Gegend, wo eine Herrgottschnitzer-Industrie, welche die ganze Welt mit Kruzifixen beliefert, entstanden ist.

Mit solcher Massenfertigung hat Anvidalfarei aber nichts am Hut, ihm geht es um Echtheit und Authentizität, die den tausendfach geschnitzten Kopien fehlt. Zur Echtheit des Ausdrucks gehört für Anvidalfarei aber auch, dass seine Christusse nackt sind. Das ruft Unverständnis hervor; gegen die Aufstellung von solchen Statuen in Kirchen gab es immer wieder Proteste. Anvidalfarei versteht das kaum: Nacktheit gehört ganz selbstverständlich zur Körperlichkeit des Menschen, und wenn er den Gekreuzigten in seiner puren Menschlichkeit darstellen will, dann ist er, so Anvidalfarei, "natürlich nackt".

Der Christus "auf Zehenspitzen" (Seite 1) ist für die Neue Chirurgie im Tiroler Landeskrankenhaus Innsbruck konzipiert worden, ein Abguss steht dort in einem Seminarraum, der am Wochenende mit wenigen Handgriffen in eine Kapelle umgewandelt wird. In anderen Kirchen hat Anvidalfarei Innenräume gestaltet; so stammen in der Pfarrkirche von Obervintl im Pustertal Altar, Ambo und Tabernakel von ihm: der Altar in Form eines "Schoßes" - wie von "Mutter Kirche", der Ambo als "Bein", ebenso der Tabernakel: auch hier brachte Anvidalfarei Köperlichkeit zum Ausdruck. Seinen für Obervintl geplanten Gekreuzigten konnte er nicht ausführen; statt dessen hängt die stark vergrößerte Kopie eines mittelalterlichen Kruzifixes in der Kirche: Es schmerzt Anvidalfarei besonders, dass Pfarrer und Gemeinde mit vertrauter Gefälligkeit vorlieb genommen haben, statt seine "Echtheit" zuzulassen.

Auch die "Versöhnungsgruppe" war ursprünglich für einen Kirchenraum - eine Beichtkapelle im Dom von Padua - geplant. Nachdem sich das Projekt zerschlagen hat, war Lois Anvidalfarei froh, dass sich Architekt Prachensky des Werkes angenommen hat. Immerhin arbeitet der Bildhauer nun schon mehrere Jahre an der Gruppe - und kann jetzt eine erkleckliche Zeit vom Auftrag des Architekten leben.

TV-Tipp: FEIERABEND

Seht, da ist der mensch! Der Bildhauer Lois Anvidalfarei. Ein Film von Michael Cencig und Otto Friedrich.

Karfreitag, 18. April, 19.55 ORF 2

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