Löwe auf Jamaika-Flagge - © Pixabay/3D Animation Production Company

Von Rastafari bis Babylon: Haile Selassie und die vielseitige Reggae-Religion

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Reggae, Dreadlocks, Marihuana: drei - irreführende - Schlagworte rund um Rastafari, die schwarze Protest- und Erweckungsbewegung aus der Karibik. Maria Harmer auf den Spuren einer "Theologie der Befreiung" zwischen Gut (Rastafari) und Böse (Babylon).

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Reggae, Dreadlocks, Marihuana: drei - irreführende - Schlagworte rund um Rastafari, die schwarze Protest- und Erweckungsbewegung aus der Karibik. Maria Harmer auf den Spuren einer "Theologie der Befreiung" zwischen Gut (Rastafari) und Böse (Babylon).

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Greetings in the name of His Majesty Emperor Haile I Selassie I, Jah Rastafari, ever living, ever faithful, ever sure, Selassie I the First. Yeah! Yeah! Ras Tafari! Ever living! Ge I-name is Rastafar-I

"Positive Vibration" heißt dieses Lied von Bob Marley - und positive Vibrationen sowie die Göttlichkeit des äthiopischen Herrschers Haile Selassie sind zwei zentrale Themen der Rasta-Bewegung, deren Inhalte durch den Reggae in alle Welt transportiert wurden und werden.

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Rastafari ist ursprünglich in den dreißiger Jahren in Jamaika als Protestbewegung gegen die Unterdrückung von aus Afrika stammenden Menschen entstanden; als eine Strategie des Widerstandes gegen das Erbe der Sklaverei, gegen den institutionalisierten Rassismus und die Ausbeutung der Schwarzen in den Kolonien.

Der Name Rastafari leitet sich von Ras Tafari ab, jenem Namen, den der äthiopische Herrscher Haile Selassie I. vor seiner Krönung in Addis Abeba am 2. November 1930 trug. Vertreter von 72 Staaten kamen zu seiner Krönung, der Sohn des englischen Königs George V. überreichte ihm ein 1000 Jahre altes Zepter aus purem Gold, auf dem "King of Kings of Ethiopia" eingraviert war. "Seine kaiserliche Majestät Haile Selassie, König der Könige, Herr der Herren, Siegreicher Löwe des Stammes Juda, Erwählter Gottes, Kaiser von Äthiopien" war der volle Titel des neugekrönten Herrschers.

Messias Haile Selassie

Für die Rastafari erfüllte sich damit die Prophezeihung von Marcus Garvey, dem wichtigsten schwarzen Freiheitskämpfer Jamaikas und Begründer der größten pan-afrikanischen Organisation der Geschichte: "Seht nach Afrika, wo ein schwarzer König gekrönt werden wird, denn der Tag der Erlösung ist nahe." Vor allem die Titel waren für die Rastas der Beweis, dass Haile Selassie der wiedergekommene Messias war; doch diesmal nicht das "Schaf, das man zur Schlachtbank führt", sondern der königliche Feldherr, der Löwe von Juda.

Haile Selassie, dessen feudales Herrschaftssystem innerhalb Äthiopiens zu immer größeren Spannungen geführt hatte, wurde 1974 durch putschende Militärs abgesetzt und starb 1975 in deren Haft unter ungeklärten Umständen - doch in den Augen der Rasta ist er unsterblich. Denn die beiden wichtigsten Prinzipien der Rastafari-Philosophie sind die Überzeugung von der Göttlichkeit Haile Selassies und die Forderung nach Repatriierung. Sie möchten "zurück nach Afrika", zurück zu einem spirituellen und/oder realen Afrika.

Es geht um das Afrika in uns selbst, in unseren Genen, das wir uns über die Jahrhunderte der Diaspora bewahrt haben. Dieses Afrika in uns ist so real wie die Pigmentierung unserer Haut und die Beschaffenheit unserer Haare.

Barbara Makeda aus Großbritannien

"Doch wir haben kein physisches Afrika, wohin wir so einfach zurückkommen können", sagt Adisa Andwele, ein Rasta von der Karibikinsel Barbados. "Es geht um das Afrika in uns selbst, in unseren Genen, das wir uns über die Jahrhunderte der Diaspora bewahrt haben", ergänzt Barbara Makeda aus Großbritannien: "Dieses Afrika in uns ist so real wie die Pigmentierung unserer Haut und die Beschaffenheit unserer Haare." Rasta eröffnet die Möglichkeit einer kulturellen Repatriierung und spielt eine wichtige Rolle im Erwecken des spirituellen wie des politischen Bewusstseins unter den Schwarzen. So hingen und hängen vor allem die jungen Generationen an Schlagworten wie Black Consciousness, Black Identity, Black Nationalism oder Afrocentricity.

Seit dem 16. Jahrhundert waren mehr als 25 Millionen Menschen als Sklaven von Afrika nach Amerika gebracht worden. Sie kamen aus unterschiedlichen Regionen, sprachen verschiedene Sprachen. Aber ihre religiösen Philosophien und Praktiken gaben ihnen Halt. Einer dieser Kulte war Nyahbinghi, in den Augen vieler Rastas weder eine Sekte noch ein Ritual, sondern ein unverzichtbarer Teil, ja sogar die Grundlage der Rastafari-Philosphie und -Kultur. Nyahbinghi war äußerst erfolgreich im Widerstand gegen die koloniale Herrschaft, indem er traditionelle afrikanische religiöse Rituale gebrauchte.

Westen ist Babylon

1935, als Mussolini in Äthiopien einmarschierte, erlebte der Kult einen enormen Aufschwung: Rasta in Jamaika wollten durch Meditation und geistige Energien, Haile Selassie in seinem Kampf unterstützen. Haile Selassie, der Herrscher Äthiopiens - das als "Wiege Afrikas" als Synonym für den Kontinent steht - war offiziell als spirituelles Oberhaupt von Nyahbinghi eingesetzt. "Death to oppressors black and white, death to the enemies of the african race. - Tod den schwarzen und weißen Unterdrückern, Tod den Feinden der afrikanischen Rasse", sollen seine Worte gewesen sein, die zu einem zentralen Satz der Rasta-Bewegung wurden.

Die Sehnsucht der Repatriierung lässt sich auch dadurch erklären, dass sich einige der Rasta als "die wahren Israeliten" sehen, die unter der Babylonischen Gefangenschaft leiden. Babylon ist für sie ein Synonym für die "westliche Welt". Man kann sich für Rastafari oder für Babylon entscheiden. Die Identität von Rastafari, ist ein Akt der Emanzipation von der aufgezwungenen Identität als Sklaven. In ihrer Philosophie erwarten sie die Errettung von 144.000 Auserwählten durch Jah, durch Gott, nach dem biblischen Endkampf des Armagiddeons.

Das Armagiddeon realisiert sich als Endkampf zwischen Gut (Rastafari) und Böse (Babylon). Aber der Kampf zwischen diesen beiden kontroversiellen Kräften tobt schon heute: als aktiver politischer Kampf gegen die Unterdrückung und unter aktiver Beteiligung der Rasta.

Ein wichtiger Faktor im Widerstand gegen die weißen Kolonialherren sowie im Kampf gegen Babylon ist die Sprache. So kommunizieren die Rasta im so genannten Rasta-Talk, auch I-ance oder Dread-Talk genannt (siehe Fakt). Im Zentrum steht das Konzept von I-n-I (von "ich-und-ich"). I-n-I wird im Singular so wie im Plural verwendet, das Wort "you" (du oder ihr) vermieden. I-n-I bezeichnet das spirituelle wie das physische Ich und sieht gleichzeitig im Gegenüber auch die Manifestation von Haile Selassie, dem göttlichen Wesen. I-n-I verstärkt so die Rasta-Identität als Individuum sowie die Einheit mit anderen Wesen und die gemeinsame Identität als Söhne und Töchter von Jah Rastafari.

Die Vielfalt von Rasta

Ein weiteres Zeichen von Rasta, Symbol des Widerstandes und der kulturellen Identität sind die so genannten Dreadlocks. Sie entstehen, wenn das Haar über längere Zeit weder gekämmt noch geschnitten wird. Viele Rasta lassen sich die Dreadlocks als Symbol für ihre Devotion wachsen; sie sind auch Symbol ihrer blackness und ihrer Spiritualität. Darüber hinaus sind sie eine Anspielung auf die Mähne des Löwen und die Einhaltung des biblischen Gebotes, dass der heilige Mann seine Haare belassen und kein scharfer Gegenstand seinen Körper berühren soll. Die historischen Wurzeln der Dreadlocks sind in Kenia, bei den (Freiheits-)Kämpfern der Maumau, zu finden, mit denen sich die Rasta identifizierten. Der Name Dread-locks kommt von dreadful - schrecklich.

Rasta-Bewegung, Rasta-Philosophie: Reggae, Dreadlocks und Marihuana als identitätsstiftende Schlagworte? Was genau ist Rasta? "Rastafari ist kein einheitlicher religiöser Glaube, es gibt keine Rasta Religion an sich. Rasta ist experience - Erfahrung. Rastafari ist grundsätzlich eine Black-power-Bewegung - mit einem theologischen Kern", sagt Mutabaruka, einer der führenden Rasta-Poeten aus Jamaika: "Wenn man zehn verschiedene Rasta nach einer Definition oder einer Erklärung frägt, wird man zehn völlig verschiedene Antworten bekommen - und auch die können sich jeden Tag ändern", meint er.

Die dynamische Philosophie und Kultur der Rasta wurde vielfach versucht zu kategorisieren: Revitalisationsbewegung, Protestkultur, Ghetto-Religion, Eskapismus und andere Ausdrücke wurden verwendet. Standardisierungen wie "Rasta bezeichnen Haile Selassie als göttliches Wesen, Rasta haben Dreadlocks, Rasta rauchen Marihuana" werden von allen Rasta strikt abgelehnt und als "babylonischen Versuch einer Strukturierung" belächelt.

Denn Haile Selassie wird sehr subjektiv interpretiert, längst gibt es auf der ganzen Welt Rasta, die keine Dreadlocks haben und viele, für die das Rauchen der "heiligen Pflanze", von Marihuana, keine Bedeutung hat. Und der Reggae ist ein kommerzielles Medium, aber nicht die "originale Rasta-Musik".

Bob Marley - Bob Marley - © Pixabay/M W Bild
© Pixabay/M W Bild

Bob Marley

Das Schlüsselwort zum Verständnis der Rastafari ist Livity, die Lebensweise all jener, die sich mit den Ideen von Rasta identifizieren. Der Lebensstil der Rastafari ist eine Lebenspraxis, eine Erfahrung. Es geht um ein möglichst natürliches und naturnahes Leben, um die Prinzipien von peace and love, von Friede und Liebe, es geht um Gerechtigkeit, Einheit und Gleichheit - und um den Kampf gegen Babylon.

Theologie der Befreiung

Im Sinn einer "Theologie der Befreiung" bekämpft Rasta jede Form der kolonialen, politischen, sozioökonomischen, kulturellen und religiösen Unterwerfung von Menschen. Rastafari gilt als fundamentalste Kritik an interkulturellen Formen der Unterdrückung und Ungleichheit. So wird Rasta zu einer weltweiten Bewegung.

In der Rasta-Bewegung wurden Werte wiederentdeckt, die fast jeder modernen Jugend- und Alternativbewegung eigen sind, deren Grundlage die Vision einer Welt ohne Unterdrückung ist. Rastafari ist ein Aufruf zu einer meditativen Lebensweise und zu solidarischem Leben mit dem Nächsten verstanden, als radikalste Absage an die westliche Konsumgesellschaft, als Forderung nach einer einfachen Lebensweise, die aus der Harmonie mit der Natur schöpft, erfüllt von einer tiefen, gelebten Religiosität, nach der Gott in jedem Menschen präsent ist.

"Mein Herz ist schwarz" sagt Benjamin, ein (weißer) Rasta (mit blonden Dreadlocks) aus Heidelberg. Längst muss man keine schwarze Hautfarbe (mehr) haben, um als Rasta anerkannt zu werden. Das Medium des Reggae und zunehmend auch das Internet verbreiten die Botschaft von Rasta auf der ganzen Welt.

Fakt

Rasta-Sprache*)

Jah. Abkürzung von Jehowa, die in Kaiser Haile Selassie personifizierte Gottheit, die in allen Menschen lebt

I-n-I. Dieser Ausdruck reflektierte die kollektive Identität aller Rasta, I ist das göttliche schöpferische Prinzip, I-n-I steht für das Göttliche im Menschen und für die enge Beziehung zwischen den Brüdern und Schwestern

Zion. Spirituelle Herrschaft von Jah, meint Afrika im Generellen und Äthiopien im Speziellen

Babylon. Umschreibt das europäische kolonialistische und kapitalistische System, das die schwarzen Sklaven ausgebeutet hat

Livity. Die Lebensweise der Rasta

I-rie. Absolut positiv, großartig; die spirituelle Ganzheit der Schöpfung; häufiger Gruß unter Rasta

I-tal. Vital, natürlich, organisch; wird mit den lebensspendenden Kräften der Schöpfung assoziiert

Deaders. Fleisch

I-ses. Lobpreis

I-thiopia. Äthiopien

I-rate. Kreieren

Seen. Weißt du? Verstehst du?

Nyahbinghi. a) "Sie, die vieles besitzt", benannt nach Königin Njavingi; b) "Tod allen schwarzen und weißen Unterdrückern"; c) Tänze und Trommelrhythmen als Teil der Zeremonien

Reasoning. Lange Diskussion und Gedankenaustausch unter Rasta

I-yah. Ich lebe

Youth. Kind

*) Die Rasta-Sprache wird englisch ausgesprochen (I-n-I = ainai)

Buch

Afrokaribische Religionen

Teil 3: Rastafari.
Hg. von Manfred Kremsner (Beiträge teilweise auf Englisch).
WUV Verlag, Wien, 2. Auflage 2000. 167 Seiten, kt., öS 248,-

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