Madame Boisselier und die Raelianer-Sekte haben, wie es aussieht, im Wettlauf der Sektierer um das erste Klon-Baby die Nase vorn. Das wird Severino Antinori, den italienischen Reproduktionsmediziner, der ebenfalls demnächst mit einer Menschenkopie aufwarten will, gar nicht freuen.
Sektierer sind sie beide: der ehemalige Schlagersänger Claude Vorilhon, der sich zum Religionsgründer mauserte - und der italienische Frauenarzt, der sich für einen strenggläubigen Katholiken hält. Als Beweis seiner Rechtgläubigkeit beteuert Antinori gelegentlich, dass er einem schwulen Paar nie und nimmer zu einem Klonkind verhelfen würde. Das "Recht auf Kinder", mit dem der italiener seine Klonversuche rechtfertigt, gilt nur für brave Heteros.
Ein bissl gespenstisch geht es schon zu bei den Babymachern, und man kann sich des unangenehmen Eindrucks nicht erwehren, dass ausgerechnet die heikelste Technologie des angebrochenen Jahrtausends eine Domäne der Verrückten und der Sektierer ist. Es muss am Thema liegen: Sogar seriöse Wissenschafter und Ärzte kriegen den Flackerblick, wenn sie vom Ende der Transplantationsmedizin, von nachwachsenden Nieren und Herzen und von ewiger Jugend erzählen.
Sieht also so aus, als ob sich die Wissenschaft in Richtung Kunst entwickeln würde: Es geht immer weniger um die Beschreibung der erfahrbaren Welt und immer mehr um die Etablierung eines semantischen Systems, das sich in Richtung "Weltformel" entwickeln soll. Und damit in einer Gesellschaft, die nach ihren eher unerfreulichen Erfahrungen mit den klassisch verfassten Religionsgemeinschaften gründlich säkularisiert ist, als Religionsersatz fungieren kann.
Man musste diese Entwicklung schon im künstlerischen Bereich nicht unbedingt schätzen. Immerhin hatte die Kunstreligion aber gegenüber den neuen Laborsektierern einen unschätzbaren Vorteil: Sie war, was die gattungsgeschichtliche Perspektive des homo sapiens sapiens betrifft, ein vergleichsweise harmloses Phänomen.
Der Autor ist stellvertretender Chefredakteur der "Presse".
