Gefangen in der Isolation

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Über Autismus wird in Österreich nicht viel gesprochen. Doch bräuchten gerade autistische Kinder eine möglichst frühe Förderung.

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Über Autismus wird in Österreich nicht viel gesprochen. Doch bräuchten gerade autistische Kinder eine möglichst frühe Förderung.

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In Österreich sind rund 4.000 Menschen von Autismus betroffen. Die Dunkelziffer ist aber vermutlich sehr viel höher. Fünf von 10.000 Kindern werden autistisch geboren, ebenso viele wie blind und taub. Nur ein kleiner Teil der Betroffenen wird aber ihren speziellen Bedürfnissen entsprechend betreut.

Die Elterninitiative "Rainman's Home" versucht nun mit einer Tagesbetreuungsstätte neue richtungsweisende Ansätze bei der Betreuung von autistischen Menschen in Wien zu gehen und ist damit richtungsweisend für den gesamten deutschsprachigen Raum.

Die Elterninitiative wurde 1991 aus der Not einer Gruppe von Eltern autistischer Kinder gegründet. Die Eltern waren nach dem Pflichtschulabschluss ihrer Kinder mit der Tatsache konfrontiert, dass es keine Einrichtung gab, wo Autisten mit ihren speziellen Bedürfnissen entsprechend betreut werden konnten. Denn vor zehn Jahren wurden Autisten in geschützten Werkstätten untergebracht. Diese sind aber auf Grund der Monotonie der zu verrichtenden Arbeit für autistische Menschen kontraproduktiv.

Angehörige, Betreuer und Pädagogen bauen heute in ihrer Arbeit auf die Erkenntnis auf, dass ein Umdenken und eine Veränderung der eigenen Person zum besseren Verständnis und erfolgreichen Umgang mit Autisten führen. "Das pädagogische Konzept von Rainman's Home basiert auf der Erfahrung, dass nur das Verständnis dafür, wie Autisten denken, fühlen und wahrnehmen, einen Zugang in diese fremde Welt ermöglicht", betont Anton Diestelberger, Vater eines Autisten, Lehrer an einer Integrationsschule und Obmann von Rainman's Home. Ausschlaggebend für erfolgreiche Integration von Autisten ist nicht der autistische Mensch, sondern sein Gegenüber.

Derzeit werden 15 Autisten im Rainman's Home betreut. Ziel der Betreuungseinrichtung ist es, die Isolation, in der sich Autisten befinden, zu durchbrechen und sie für ein möglichst selbständiges (Berufs-)Leben vorzubereiten. Auch will die Initiative ein öffentliches Bewusstsein für Autismus schaffen und die Lebensqualität autistisch behinderter Menschen und deren Familien heben.

Ursachen unbekannt Autismus ist eine Entwicklungsstörung, die die gesamte Persönlichkeit der Betroffenen prägt. Autistische Menschen besitzen eine andere Form der Wahrnehmung, des Fühlens, Denkens und Handelns. Sie ziehen sich in ihre Welt zurück und können äußere Einflüsse nicht adäquat verarbeiten. Autisten vermitteln den Eindruck, keinen Zugang zu ihrer Umwelt zu besitzen.

Rainman's Home entwickelte sich von einer Elterninitiative auch immer mehr zu einer Informationsplattform zum Thema Autismus, wo sich um Rat suchende Eltern beraten lassen können. Diestelberger: "In Österreich herrscht großes Informationsdefizit sowohl auf Seiten der Pädagogen als auch in der Bevölkerung."

Die Frage nach den Ursachen dieser Krankheit bleibt weiterhin unbeantwortet, da bis jetzt noch keine gesicherten wissenschaftlichen Ergebnisse vorliegen. Bekannt ist nur, dass auf Grund einer Schädigung des Zentralnervensystems die Fähigkeit fehlt, einzelne Wahrnehmungen, etwa Hören und Sehen, zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzuführen. Statt geordneter Information entsteht Chaos, das sich in Form schwerer Verhaltensstörungen äußern kann. Fest steht heute, dass für die Krankheit nicht einzelne Gene verantwortlich sind, sondern die Kombination und das Zusammenwirken mehrerer Gene. In jüngster Zeit wird zusätzlich besonders im Bereich des Stoffwechsels nach weiteren Erklärungen gesucht.

Primarius Georg Spiel, Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendneurologie und Psychiatrie im Landeskrankenhaus Klagenfurt nennt ein ganzes Bündel von Einflussfaktoren für das Phänomen Autismus: ausschlaggebend seien sowohl biologische, psychologische als auch soziale Faktoren. Daher gebe es auch nicht die Therapie für autistische Menschen. Die Behandlung müsse auf allen drei Ebenen ansetzen und dabei die persönlichen Bedürfnisse der Betroffenen einbeziehen, zum Beispiel die individuellen Kenntnisse, die Art der Wahrnehmung und die Beziehung zur sozialen Umwelt und zu den Dingen an sich.

Früherkennung Charakteristische Merkmale und Auffälligkeiten zeigen sich bereits vor dem 30. Lebensmonat. Die Früherkennung ist in diesem Fall besonders wichtig, da die Kinder bereits ab dem zweiten Lebensjahr gefördert werden sollten. Sonst wird die Beziehung zur Umwelt immer chaotischer und gestörte Verhaltensweisen werden durch ständiges Wiederholen verankert. Da Autismus aber meist erst im Schulalter diagnostiziert wird, sind Störungsmuster schon so sehr gefestigt, dass ein Umlernen mit großen Schwierigkeiten verbunden ist.

Autismus äußert sich durch folgende Merkmale, die jedoch in unterschiedlicher Kombination und Ausprägung auftreten können: * mangelnder Blickkontakt, Wegschauen und leerer Blick; * Kontaktschwierigkeiten zu Mitmenschen und Eltern; * Ablehnung von Zärtlichkeiten und Zuwendungen; * schlecht ausgebildete optische und akustische Sinnestätigkeit; * Unansprechbarkeit bis hin zum Verdacht auf Taub- oder Blindheit; * fehlende Nachahmungsfähigkeit und stereotype Spielgewohnheiten (stundenlanges rhythmisches Klopfen, Baumeln, Drehen von Gegenständen); * großer Widerstand gegen Veränderungen, etwa beim Kleidungswechsel; * kein Erkennen von Gefahren (herankommendes Auto, tiefes Wasser); * Stimmungslabilität, Lach- und Schreiausbrüche; * herausragende Fähigkeiten auf bestimmten Gebieten.

Information: Rainman's Home Semperstraße 20, 1180 Wien Telefonnummer: (01) 478 64 34

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