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Digital In Arbeit

„Stiefkind“ Arbeitsrecht

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Dieser Tage ging der 2. Internationale Kongreß für Arbeitsrecht in Genf zu Ende, an dem Vertreter von 25 Staaten Europas und acht von außereuropäischen Staaten teilnahmen. Auch Oesterreich war mit qiner starken Delegation des Oesterreichischen Gewerkschaftsbundes und der Arbeiterkammer vertreten.

Es ist betrüblich, daß in Oesterreich das Arbeitsrecht an seinen Hochschulen nur sehr mangelhaft, wenn überhaupt, betreut wird. Das Arbeitsrecht nimmt in unserer Rechtsordnung eine besondere Stellung ein. Es wird fast ausschließlich von der Praxis her bestimmt, und es mangelt ihm fast jede eingehende wissenschaftliche Untersuchung und Forschung. Obwohl das Arbeitsrecht jene Rechtsdisziplin darstellt, die gerade für den unselbständig Tätigen, aber auch für unsere Wirtschaft von eminenter Bedeutung ist; regelt es doch die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, es regelt aber darüber hinaus auch jene öffentlich-rechtlichen Normen der Betriebsverfassung, des Arbeitsschutzes und der Arbeitsgerichtsbarkeit, die im Wirtschaftsleben eine so große Bedeutung haben. Arbeiterkammern und Gewerkschaftsbund haben daher schon seit langem mit Recht die Errichtung eigener Lehrkanzeln für Arbeitsrecht an unseren Universitäten gefordert, wie sie auch andere kleine Staaten, zum Beispiel die Schweiz, haben und wie sie besonders die kommende europäische Integration erfordern wird.

Was wäre also zu tun? Vor allem müßten Lehrkanzeln für Arbeitsrecht zumindest an den beiden Universitäten in Wien und in Graz errichtet werden, weil diese in Industriebezirken liegen und sich hier vor allem das Arbeitsrecht herausgebildet und weiterentwickelt hat. Keine Rechtsmaterie ist nämlich so eng mit dem pulsierenden praktischen Leben verbunden wie gerade das Arbeitsrecht. Ich glaube auch, daß sich nicht allein der Jurist mit dem Arbeitsrecht befassen muß, sondern auch der Volkswirt, der Kaufmann und der Techniker. Daher gehört diese Rechtsdisziplin auch an die Technik und an die Hochschule für Welthandel als eigene Lehrkanzel. Es wäre aber nichts damit gedient, wenn es dem Belieben der Hörer anheimgestellt wäre, Vorlesungen für Arbeitsrecht zu besuchen oder nicht. Es müßte daher das

Arbeitsrecht als Pflichtvorlesung und damit als Prüfungsgegenstand in die Studienordnungen der Hochschulen aufgenommen werden. Heute ist es noch so, daß junge Juristen, Diplomkaufleute und Techniker die Hochschule verlassen und so gut wie keine Kenntnisse vom Arbeitsrecht besitzen. Der Praxis ist es daher nur schwer möglich, Fachleute des Arbeitsrechtes zu erhalten. Kammern, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und selbst die Gerichte müssen sie sich erst mühevoll heranbilden. Auch der Richter, der plötzlich zum Arbeitsgericht versetzt wird, tut sich, zumindest am Anfang, sehr schwer. Und wenn er sich dann in monatelanger mühevoller Arbeit eingearbeitet hat,

wird er womöglich wieder anderswohin versetzt, und das Spiel beginnt nun von neuem. Die Leidtragenden sind aber nicht die Richter allein, sondern mit ihnen alle, für die er Recht zu sprechen hat.

Eine Folge dieser mangelhaften wissenschaftlichen Betreuung des Arbeitsrechtes ist ferner, daß wir in Oesterreich, obwohl wir uns so viel auf unser hochentwickeltes Sozialrecht zugute tun, bisher keine eigene Lehre ausgearbeitet haben, ja nicht einmal ein geeignetes modernes Lehrbuch für Arbeitsrecht , besitzen und daher immer gezwungen sind, uns wissenschaftliche Erkenntnisse und Lehrmeinungen von Fremden zu holen.

Im Zusammenhang mit der arbeitsrechtlichen Ausbildung des Richterstandes steht auch wie-

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