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Bäckerhefe aus dem Labor

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Die Diskussion um die Anwendung der Gen-Technik geht in die nächste Runde: Haubenköche sorgen sich um den guten Geschmack.

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Die Diskussion um die Anwendung der Gen-Technik geht in die nächste Runde: Haubenköche sorgen sich um den guten Geschmack.

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Die Debatte erinnert an so manche wissenschaftstheoretische Diskussion der letzten Jahrzehnte. Die Befürworter werden nicht müde, auf die enormen Möglichkeiten der Gentechnologie hinzuweisen, mit deren Hilfe nicht nur das Hungerproblem aus der Welt geschaffen, sondern auch Heilverfahren für bisher unheilbare Krankheiten wie Krebs oder Aids gefunden werden könne. Die Kritiker warnen vor unabsehbaren Folgen, die das Konstruieren neuer Pflanzen oder Lebewesen auf Umwelt und Gesundheit haben kann. Der Humanökologe Peter Weish vom Forum Österreichischer Wissenschaftler für den Umweltschutz, sieht Parallelen zur Atomtechnik. Auch dort hätten Wissenschaftler teilweise faszinierende Erkenntnisse erarbeitet, ohne sich jedoch der weitreichenden Folgen ihres Handelns bewußt zu sein.

Um diese Widersprüche zu erörtern und Vorgaben für ein Gentechnik-Gesetz zu erarbeiten, wurde Anfang der neunziger Jahre eine parlamentarische Enquete-Kommission gebildet - die erste in der Geschichte des österreichischen Parlaments. Vertreter aller Parteien präsentierten 1992 einen Bericht, der klare Empfehlungen abgab:

■ Genehmigungen für gentechnische Arbeiten sollten an eine begleitende Risikoforschung gebunden sein.

■ Eine Gentechnik-Kommission, in der ein breites Spektrum von Interessierten und Betroffenen vertreten ist, sollte für gesellschaftliche Ausgewogenheit und Öffentlichkeit bei Entscheidungen sorgen.

■ Ein privater Eigentumsanspruch und somit eine Patentierung von Genen wurde abgelehnt.

■ Ein speziell auf die Gefahren der Gentechnologie zugeschnittenes Haftungsrecht wurde empfohlen.

■ Produkte, die mit Hilfe gentechnischer Verfahren hergestellt oder selbst gentechnisch verändert wurden, sollten für den Konsumenten klar ersichtlich und verständlich gekennzeichnet werden.

■ Die Bildung transgener Tiere sowie Eingriff in die Keimbahn höherer Lebewesen wurde abgelehnt.

So ambitioniert diese Forderungen auch waren, im nun vorliegenden Gentechnik-Gesetz finden sie kaum Berücksichtigung. Aufgrund zahlreicher Proteste von Umwelt-, Tierschutz- und Entwicklungsorganisationen sowie der Grünen im Parlament wurden die Debatten im Gesundheitsausschuß lange verzögert. Hunderte von Protestbriefen und — faxen landeten in den letzten Wochen in den Briefkästen von Parlamentariern aller Parteien. Besonders öffentlichkeitswirksam tat die Tierschutzorganisation „Vier Pfoten” ihre Bedenken kund. Aktivisten schmückten Anfang Mai das Parlamentsgebäude mit einem riesigen Transparent „Gentechnik - Störfall im Parlament”.

Nicht nur Umwelt- und Tierschützer, auch Abgeordnete von Regierungsparteien, wie etwa ÖVP-Wissenschaftssprecher Christian Brünner, kritisierten öffentlich den Entwurf. Die gentechnisch aktive Industrie signalisierte hingegen weitgehend Zustimmung. Der Pressesprecher des Pharmakonzerns Immuno etwa meinte vor kurzem: „Wir können mit diesem Gesetzesentwurf gut leben.”

Gesetz nicht EU-konform

Besonders brisant bezeichnen Experten aber die Tatsache, daß die An-meldungs- und Bewilligungsbestimmungen im österreichischen Gesetz weniger streng sind wie diejenigen der Europäischen Union (EU). Sowohl die EFTA-Überwachungsbe-hörde, die für die Einhaltung von EWB-Recht zuständig ist, als auch Michael Nentwich vom Forschungsinstitut für Europafragen der Wirtschaftsuniversität Wien kamen Ende

April zum Schluß, daß die Vorlage nicht den geltenden EU-Regelungen entspricht. Damit könnte das „Umweltmusterland” Österreich zum Vorbild für Lockerungen der Gentechnik-Bestimmungen in den EU-Ländern werden. In Gesprächen zwischen den Parlamentsparteien wurden zwar einige Details noch abgeändert, EU-konform scheinen aber auch die nun gefundenen Regelungen nicht zu sein. „Kein guter Einstieg in die EU-Umweltpolitik”, sagen die Kritiker, „wir wollen den Standort Österreich nicht gefährden”, die Befürworter des Gesetzes.

Inzwischen warnen aber auch Österreichs Haubenköche und Lebensmittelhersteller vor dem Einzug von Gen-Nahrung in heimische Küchen. Der Lebensmittelsektor gilt nämlich als der Zukunftsmarkt der Gentechnik schlechthin.

In den USA wurde von der FDA (Food and Drug Administration) die Marktfreigabe für die genmanipulierte Tomate „Flavr Savr” erteilt. Eine Flut von Lebensmitteln, deren Geschmack oder Haltbarkeit im Gen-Labor verändert werden, dürfte in naher Zukunft auf US-Märkte schwappen. Aber auch vor Europa macht diese Entwicklung nicht halt. Eine Verordnung über neuartige Lebensmittel („Novel Food”) könnte auch in der EU schon bald Gen-Food zu einem fixen Bestandteil deß täglichen Brotes machen.

Wilfried Auerbach vom Babynahrungs-Hersteller Hipp Österreich kann dieser Entwicklung nicht viel abgewinnen: „Bisher sind die Langzeitfolgen von gentechnisch hergestellten Nahrungsmitteln nicht bekannt.” Er ist überzeugt, daß es auch ohne Gentechnik geht. Die Haubenköche Reinhard Gehrer vom Wiener Restaurant Korso und Helmut Österreicher, Küchenchef im Restaurant Steirereck, orten bereits den Angriff auf den guten Geschmack. Österreicher: „Der Konsument wird getäuscht, der Gaumen betrogen. Durch Manipulation sehen die Produkte anders aus und schmecken anders. Muskel von Kaninchen werden etwa für Ananas-Geschmack eingesetzt.”

Die Naturwissenschaftlerin Alice Schmatzberger von der Bürgerinitiative „Gentechnik im Einkaufskorb? - Nein Danke!” schlägt in dieselbe Kerbe. Sie fordert ein fünfjähriges Inverkehrsetzungsverbot für gentechnisch hergestellte Nahrungsmittel. Zumindest müsse sichergestellt sein, daß der Konsument weiß, was er ißt: „Eine Minimalanforderung wäre eine generelle, umfassende Kennzeichnung” Im österreichischen Gentechnik-Gesetz ist diese nicht vorgesehen.

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