„Es ist Augenauswischerei“

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Achtung: Transfette töten! Was die Amerikaner und manche Medien in Aufruhr versetzt, sieht der Ernährungswissenschafter Jürgen König als falsche Dramatik.

Unlängst hat Gouverneur Arnold Schwarzenegger entschieden, dass ab 2011 keine bösen Transfette mehr in Kaliforniens Essen sein sollen. In Österreich scheiterte ein ähnlicher Gesetzesantrag, den Wolfgang Pirklhuber, Sprecher für Lebensmittelsicherheit der Grünen, eingebracht hatte. Die Furche nahm den Fall zum Anlass, um mit Jürgen König, Professor für Ernährungswissenschaften an der Universität Wien, über Regeln für eine gesunde Ernährungsweise zu sprechen.

Die Furche: Herr Professor König, beginnen wir mit einem kleinen Quiz – gut oder böse: Omega-3-Fettsäuren?

Jürgen König: Gut.

Die Furche: Gesättigte Fettsäuren?

König: Böse.

Die Furche: Mehrfach ungesättigte Fettsäuren?

König: Gut, mit Einschränkung.

Die Furche: Transfettsäuren?

König: Weiß man nicht genau.

Die Furche: Das sagen Sie!

König: Lassen Sie mich von vorne beginnen: Prinzipiell gibt es kein Gut und Böse in der Ernährung. Es gibt lediglich viele Faktoren, die eine ungesunde Ernährungsweise ausmachen. Aber man kann nicht sagen: Diese Substanz oder jenes Lebensmittel ist gut oder böse. Das alles spielt keine Rolle, wenn man es in einen gesunden Lebensstil einpasst. Ein anschauliches Beispiel sind Chips …

Die Furche: … die sind wohl ein böses Lebensmittel.

König: Das kann man so nicht sagen. Wenn Sie ein Mal im Monat ein Packerl zum Fernsehen essen, ist das kein Problem.

Die Furche: Die Menge macht’s. Aber die Transfette in den Chips sind doch schädlich.

König: Man kann natürlich eine Rangliste mit den schlechten Stoffen in Chips erstellen: 1.) Fettgehalt, 2.) Anteil an gesättigten Fettsäuren, 3.) der Salzgehalt und dann vielleicht: die Transfettsäuren.

Die Furche: Die Transfette erst auf Platz vier?

König: Ja, ich denke, man kann nicht sagen: Die Chips sind böse, weil sie Transfette haben. Sondern: Die Chips sind böse, weil sie viel Fett haben – und die Leute davon dick werden. Das ist das größte Problem.

Die Furche: Warum dann nicht gesättigte Fettsäuren verbieten?

König: Oder Salz. Oder Cholesterin. Ich halte grundsätzlich nicht viel von Verboten. Natürlich kann man versuchen, ungünstige Stoffe in Lebensmitteln zu reduzieren. Die Frage ist aber auch: Wie groß ist der technologische Aufwand? Und: Um wie viel teurer macht es das Produkt? Im Falle der Transfette, glaube ich, dass der Nutzen relativ gering ist.

Die Furche: Warum machen sich dann trotzdem Experten für solche Verbote stark?

König: Für mich ist es eine Augenauswischerei. Man stürzt sich auf Transfette, um einen Schuldigen zu haben. Ich werde nicht krank, weil ich mich allgemein ungesund ernähre, sondern wegen der bösen Transfette.

Die Furche: Gleichzeitig kommt die Forderung an die Industrie …

König: Genau. Die böse Industrie setzt uns Sachen vor, die schädlich sind. Immer trägt ein anderer die Schuld. Niemals aber ich selbst mit meinem Lebensstil. Da macht man es sich doch relativ leicht.

Die Furche: Was aber auch passieren könnte: Die Menschen lernen jetzt durch die Medien über Transfette und verzichten vielleicht tatsächlich öfters auf Topfengolatsche & Co.

König: Dieser Effekt ist in Ordnung. Ich finde es nur schade, dass man so unnötig – und wissenschaftlich fragwürdig – argumentieren muss. Aber beim Gammelfleisch in Deutschland hat es genau so funktioniert: Der Fleischkonsum ist wegen des Skandals zurückgegangen – was aus ernährungsphysiologischer Sicht extrem sinnvoll ist. Wenn man den Leuten hingegen sagt: Bitte konsumiert Fleisch nur in moderaten Mengen, ihr müsst nichts weglassen, bloß weniger essen, dann klappt das nicht.

Die Furche: Schlechte Schlagzeilen führen also eher zu einem Umdenken?

König: Ja. Positive Ratschläge zu einer gesunden Ernährung kommen nicht wirklich an. Nehmen wir zum Beispiel Folsäure. Das ist ein sehr wichtiges Vitamin. Und besonders für schwangere Frauen gibt es da klare Empfehlungen. Aber das wissen relativ wenige. Die negativen Folgen einer zu niedrigen Folsäure-Zufuhr ist um Größenordnungen schlimmer als jene von Transfetten. Oder nehmen Sie die Botschaften über Obst und Gemüse …

Die Furche: … die in der Ernährungspyramide ganz unten stehen und von denen man viel essen soll.

König: Die Ernährungspyramide existiert jetzt schon seit rund 20 Jahren. Die Leute kennen sie – und ernähren sich trotzdem zunehmend schlechter. Offenbar kommt die Botschaft nicht an. Und wir wissen nicht warum. Dabei ist erwiesen: Hohes Körpergewicht steigert das Risiko für gewisse Krankheiten. Und die Folgekosten belasten auch das Gesundheitssystem.

Die Furche: Gibt es da keine innovativen Konzepte, die die Menschen zum gesunden Essen anleiten?

König: Da die Informationen auf der Packung nicht gelesen werden, diskutiert man in der EU derzeit eine neue Kennzeichnungsverordnung. Die österreichische Arbeiterkammer etwa hätte gerne eine Ampelregelung mit rot, gelb, grün. Somit könnte man relativ rasch erkennen, ob es sich um ein gutes oder schlechtes Lebensmittel handelt. Der Industrie hingegen ist das zu plakativ. Sie wünscht sich eine andere Regelung, die zeigt, wie viel der täglichen Menge an Energie, Fett, gesättigten Fettsäuren und Salz ein Produkt enthält.

Die Furche: Welche Kennzeichnung favorisieren Sie?

König: Das Problem ist, dass jene mit einem niedrigen sozioökonomischen Status weder durch die eine noch durch die andere Kennzeichnung erreicht werden – und die sind am meisten übergewichtig. Jene mit einer höheren Bildung wiederum wissen, wie man sich gesund ernährt. Die brauchen diese Information folglich gar nicht.

Die Furche: Das Wissen um ungesunde Nahrungsmittel schafft auch ein schlechtes Gewissen. Dabei bereitet dem Menschen von Natur aus Süßes und Fettiges einen besonderen Genuss …

König: Die Ernährungswissenschaften können den Genuss leider nicht exakt messen. Ich bin jedoch überzeugt, dass ein genussvolles Mahl eine ganz ganz große physiologische Wirkung hat. Da läuft eine Vielzahl an biologischen Feedbackmechanismen und Hormonausschüttungen im Magen und Gehirn ab. Ich habe kein Problem damit, wenn einer eine Tafel Schokolade mit vollem Genuss isst – solange ihn das über ein paar Wochen hinwegträgt.

Die Furche: Sie forschen im Bereich Nutrigenomik und untersuchen, wie Gene und Nahrung wechselwirken. Der Trend geht in Richtung eines individuellen Ernährungskonzepts. Folglich werden Sie das Essensangebot der Menschen in Zukunft noch präziser einschränken können.

König: Im Moment muss ich allen Menschen ein schlechtes Gewissen machen – ohne darauf zu achten, ob das für den einzelnen überhaupt relevant ist. Vielleicht verstehen wir aber in 15 Jahren die Zusammenhänge besser, so dass ich weniger Menschen ein schlechtes Gewissen machen muss.

Die Furche: Wieviel verstehen Sie denn zurzeit tatsächlich?

König: Ich will keine Prozentzahl nennen. Aber es ist nur ein Bruchteil. Das sollte nicht überraschen. Es existieren sehr viele Stoffe und noch mehr Möglichkeiten, wie sie miteinander und mit dem Körper wechselwirken können.

Die Furche: Und obwohl man relativ wenig weiß, erlässt man Verbote?

König: Irgendwo muss man mit dem Wissen, das man derzeit hat, eine Grenze ziehen. Allerdings soll man begründen, warum ein Verbot eingeführt wird – und man muss es den Menschen im Rahmen eines Gesamtkonzeptes erklären. Doch auf solche begleitenden Maßnahmen wird oft verzichtet. So reichert die Industrie heute viele Produkte mit diversen Vitaminen an. Doch die Menschen werden dadurch nicht gesünder. Etwa auch weil das Risiko einer Überdosierung steigt. Ich bin der Meinung, es ist falsch, zu glauben, dass man den Verbraucher so einfach aus seiner Verantwortung entlassen kann.

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