Der sowjetische Parteitag ist mit hehren Reden und neuen Versprechungen für die sowjetischen Massen zu End gegangen. Wie viel von den neuen Jahresplänen zu halten ist, zeigt die Realität. Experten befürchten, daß auch die neuen wirtschaftspolitischen Direktiven nichts an den Zuständen in der Sowjetwirtschaft ändern werden.
Mitunter zwingt der Zustand der öffentlichen Meinung einen Staatsmann, seine nüchterne Realpolitik dadurch zu bemänteln, daß er ihr ein utopisches, jedenfalls in weiter Ferne liegendes Ziel zuschreibt. In den zwanziger Jahren konnte Gustav Stresemann den Deutschen die Verständigung mit Frankreich nur dadurch schmackhaft machen, daß er sie als ersten Schritt zur Rückgewinnung der an Polen verlorenen Ostprovinzen ausgab.Einem ähnlichen Zwang sehen sich in noch höherem Maße kommunistische Staatsmänner ausgesetzt. In ihrer Welt gelten die Verwirklichung der Weltrevolution und die
Breschnjews Bild flimmerte täglich über Millionen Kinoleinwände — in einem Rückblick auf seinen Kuba-Besuch vor einem Jahr. Der Generalsekretär beglückwünschte Bestarbeiter im Ural und ausländische Parteiführer — fernschriftlich. Einer Parteikonferenz der Armee lieji er durch Marschall Gretschko einen „bolschewistischen Gruß“ übermitteln. Nur er selbst blieb unsichtbar — von jenem 24. Dezember 1974 an, als er an einer Sitzung des Obersten Sowjets der Russischen Unionsrepublik (RSFSR) teilnahm, bis zum 13. Februar 1975, als er den britischen Premierminister Wilson plötzlich und unerwartet im Kreml begrüßte und sofort die Verhandlungen aufnahm.