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Die modernen Aschenputtel

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Durch den tragischen Fall „Louise Woodward” (FURCHE 46/1997) ist eines deutlich geworden: Au-pairs sind nur dann eine Bereicherung, wenn sie nicht als billige Dienstboten mißbraucht werden.

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Durch den tragischen Fall „Louise Woodward” (FURCHE 46/1997) ist eines deutlich geworden: Au-pairs sind nur dann eine Bereicherung, wenn sie nicht als billige Dienstboten mißbraucht werden.

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Gegen freie Unterkunft und Kost”, so steht es unter „au pair” im Wörterbuch. Der Grundgedanke, der sich hinter dem Begriff „Au-pair-(Mädchen)” verbirgt, ist durch und durch positiv: „Sie, oder seltener er, sollte eine Art Ersatz für die große Schwester oder den älteren Bruder sein”, erklärt Barbara Raggautz vom Wiener Institut für systemische Familientherapie.

Der aus der Schweiz stammende Begriff „Haustochter” sei genau das, was ein Au-pair-Mädchen im Idealfall sein sollte: eine Art Gast-Familienmitglied.

Professor Max Friedrich, Vorstand der Wiener Universitätsklinik für Kinder- und Jugendneuropsychiatrie, hatte selbst in 14 Jahren zwölf Au-pairs und nennt sie alle „seine Töchter”. „Es war für uns alle eine Bereicherung in vielerlei Hinsicht, ein kultureller Austausch, ein Beitrag zur Völkerverständigung. Meine Kinder haben dabei noch dazu spielend Englisch und Französisch gelernt.”

Doch nicht immer läuft ein Au-pair-Aufenthalt so ideal. Nur allzu oft kommt es vor, daß das neue Familienmitglied zum Aschenputtel wird, die Putzfrau, Haushälterin oder sogar die Ersatzmutti spielen muß. „So etwas ist moderne Sklavenhalte-rei”. Professor Max Friedrich hat dafür kein Verständnis. Ebenso Barbara Baggautz: „Das ist ein Schritt zurück ins vorige Jahrhundert, als die Mädchen vom Lande die Kinder der reichen Stadtfamilien um einen Hungerlohn betreuen mußten.”

Spielregeln festlegen

„Ein Au-pair-Mädchen ist kein Hilfsbote, kein Ersatz für ein Kindermädchen. Anfangs bedeutet solch ein Gast einen mitunter großen zusätzlichen Arbeitsaufwand”, erzählt Professor Friedrich. „Wenn ich daran denke, wie oft ich mit den Mädchen die verschiedenen Wege abgegangen bin, bis sie sie sicher kannten. Wir haben auch immer die Spielregeln festgelegt, die genauso für meine eigenen Kinder galten, und den Mädchen versucht, Unterschiede in unseren Kulturen klarzumachen, damit ihnen nichts passierte, wenn sie allein unterwegs waren.”

„Viele Familien sind sich dieses Mehraufwands nicht bewußt”, weiß Familientherapeutin Barbara Raggautz. „Sie denken, daß man dem Äu-pair-Mädchen sofort jede Arbeit aufhalsen kann, ohne ihm die notwendige Stütze zu bieten, die gerade heute junge Menschen vielfach brauchen. Vielen fehlt die notwendige Erfahrung in der Sozialisation.”

Auch die jungen Menschen selbst gehen oft mit falschen Erwartungen ins Ausland. „Ich denke, daß die meisten in erster Linie den Spracherwerb im Auge haben, und zunächst die sozialen und pädagogischen Nebeneffekte nicht sehr ernst nehmen. Doch dieser Pflichtanteil sollte auf der anderen Seite auch nicht zu groß sein”, meint die Familientherapeutin.

„Sind die Verträge allzu hart, können die Mädchen richtiggehend ausbrennen. Dazu kommt noch das Heimweh und das Fehlen von Vertrauenspersonen, die die Situation nachvollziehen können. Im schlimmsten Fall reagieren die als Putzfrauen und ständige Babysitter Mißbrauchten mit Sarkasmus oder sogar Gewalttätigkeit.” Um Fällen der Ausbeutung vorzubeugen, sollten nur offiziell vermittelte Äu-pair-Stellen angenommen werden. „Eine gut funktionierende Kontrolle ist sicherlich unumgänglich. Wenn ein Service besteht, das noch vor tragischen Ereignissen eingreift und einen Wechsel oder die Bückkehr nach Hause veranlaßt, dann ist ein Au-pair-Aufenthalt sicherlich zu verantworten”, meint Barbara Baggautz. Auch Prozessor Friedrich hofft nach dem tragischen Fall von Louise Woodward auf ein Umdenken und bessere Kontrollen. Er ist der Überzeugung, daß ein Au-pair-Mädchen ein großer Gewinn für die ganze Familie ist, „wenn es als Familienmitglied behandelt wird”.

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