"Al Jazeera hat mit 9/11 den Vater verloren"

Werbung
Werbung
Werbung

Was ist die Rolle von Medien in Konflikten? Beschränken sie sich darauf, ihrer Seite zuzujubeln? Oder wie muss ein Journalismus beschaffen sein, der Ausgleich und Frieden zwischen den Kulturen fördert? Nach dem 11. September 2001 hat sich diese Frage vor allem auch für den arabischen Sender Al Jazeera gestellt.

Mit Friedensjournalismus kann Aktham Suliman, der Leiter des Al Jazeera-Korrespondentenbüros in Berlin, nichts anfangen: "Ich bin froh, wenn wir eine Stunde Kriegsberichterstattung bringen können", antwortet die deutsche Stimme des arabischen Nachrichtensenders auf eine entsprechende Anfrage, "ich will doch sehen, was dort passiert."

Suliman war einer der Vortragenden bei der letztwöchigen Internationalen Sommerakademie des Österreichischen Studienzentrums für Frieden und Konfliktlösung auf Burg Schlaining im Burgenland: "Gute Medien, böser Krieg - Medien am schmalen Grat zwischen Cheerleadern des Militärs und Friedensjournalismus" lautete das Generalthema der Tagung - und nicht nur der Al Jazeera-Korrespondent hatte dabei so seine Schwierigkeiten mit Begriff und Bedeutung von Friedensjournalismus (Klärung bringt das Interview mit Nadine Bilke und Ursula Gamauf auf Seite 3). Cheerleader des Militärs - dieser zweite Pol der Konflikt-und Kriegsberichterstattung war leichter nachvollziehbar und mit der Extremvariante der in das us-Militär eingebetteten Journalisten beim letzten Irak-Krieg auch noch in frischer Erinnerung (siehe Beitrag rechts).

"Jetzt waren wir Schläfer"

Al Jazeera-Redakteur Suliman stellte aber eine andere Form des Mitgehangen-Mitgefangen-Seins seines Mediums im Konfliktfall in den Vordergrund seiner Ausführungen: Vor den Terrorangriffen des 11. September 2001 war Al Jazeera, so Suliman, für die westliche Welt ein "Vorzeigeprojekt" und die mediale Speerspitze für die Demokratisierung der arabischen Welt: "Unsere Maßstäbe waren an jenen des Westens angepasst, wir erfanden keine neuen Sendungen oder Theorien und orientierten uns an cnn, bbc oder ntv." Doch nach der Flugzeugattacke auf das World Trade Center wurde alles anders, sagt Suliman: "Mit 9/11 ist unser Vater gestorben - der westliche Journalismus; denn nach dem 11. September gab es keine Verdächtigte mehr, sondern nur mehr Verurteilte."

Der 11. September hat aber nicht nur den Blick der westlichen Welt auf Al Jazeera verändert und den arabischen Sender in den Augen der Welt von einem Tag auf den anderen zu einer suspekten Gefahr gemacht - "auf einmal waren wir alle Schläfer". Auch "der Blick auf uns selbst und unserer Blick auf die anderen", sagt Suliman, "ist ein anderer geworden." Viele Identitätsfragen tauchten auf - Suliman: "Was ist unsere Rolle? Vertritt Al Jazeera die arabische Welt? Ist Al Jazeera ein arabischer Sender? Lässt sich Al Jazeera von Terrororganisationen instrumentalisieren und machen wir nur die Drecksarbeit für andere Sender, wenn wir Bin-Laden-Videos zeigen?"

Ungewollter Handlanger

"Al Jazeera hat dazugelernt und übernimmt die Videobotschaften von Terroristen nicht mehr eins zu eins", antwortet der Wiener Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell auf Sulimans Selbstzweifel, wobei es "für jedes Medium schwierig ist", gibt Hausjell zu bedenken, "nicht zu ungewollten Handlangern von Terrororganisationen, aber auch Regierungen zu werden." Die Vorwürfe gegen Al Jazeera rühren, laut Hausjell, vor allem daher, dass dieser Sender das Informationsmonopol über die arabisch-muslimische Welt zerstört hat: "Für die us-Kriegsführung war das kontraproduktiv, denn es hat das Zeichnen eines Feindbilds schwerer gemacht." Und Al Jazeera konnte auch noch einen anderen Blick öffnen, sagt Hausjell: "Der Sender hat die zahllosen Opfer, die vorher fast vollständig ausgeblendet wurden, sichtbar gemacht."

Und so wie die Bush-Regierung die Berichterstattung in ihrem "Krieg gegen den Terror" manipuliert und für eigene Interessen instrumentalisiert, arbeitet auch die Gegenseite an ihrer Inszenierung: "Terror-Campaigning im Internet-Zeitalter" lautete in diesem Sinn ein weiteres Thema bei der Sommerakademie in Schlaining: Jeder größere Anschlag, hieß es, werde von Terrororganisationen und islamistischen Netzwerken mittels Videoclip medial aufbereitet und ins Internet gestellt. Diese Kurzfilme dienten sowohl der Propaganda als auch der Rekrutierung neuer Anhänger - denn es gilt hier der gleiche Grundsatz wie in us-Militärkreisen: "Medien sind wie das Wetter - man muss sie stets mit einplanen."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung