Applaus - richtig, falsch und schön

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Feierliche Reden und Aufführungen aller Art: Sie alle enden erst mit dem Applaus, manche beginnen sogar damit. Der Applaus verschmilzt die Einzelnen im Publikum zur Masse. Erst durch das Klatschen wird jegliche Zuhörerschaft wieder zum Individuum. Die Kulturgeschichte zeigt, dass Applaus sogar Schweigeminuten für Verstorbene ersetzen kann.

Wir begrüßen und verabschieden damit nicht nur Personen, die auf der Bühne auf- und von ihr abtreten, sondern auch das Stück, die Rede: Wir tun es mit Applaus.

Der Rahmen ergibt das Bild, der Umschlag fügt die Seiten zum Buch, und der Applaus? Macht nicht erst der Applaus die Musik oder das Theaterstück zum Kunstwerk? Das akustische Beiwerk Applaus wäre also der niedere oder hohe Sockel des klassischen Werks. Auf diesen Sockel stellte das Publikum das aufgeführte Musikstück - oder auch nicht?

Dennoch, was hier ertönt, scheint gerade gegen Kunst gerichtet zu sein. Klatschen ist nicht an sich schön. Klatschen ist nur Geräusch. Wie groß auch immer der Vortragsraum, der Saal des Theaters oder Konzerts sein mag, der Lärm des Applauses setzt den sammelnden Eindruck kurz außer Kraft. Wir machen einen Lärm, der nur bei großen Menschenmengen in angenehmes Rauschen übergeht.

Applaus befreit aus der Passivität

Heißt das, wir halten die Schönheit nicht aus? Vielleicht müssen wir den geballten Paketen aus Sinn und Delikatesse Lärm entgegenstellen, müssen uns aus der angespannten Konzentration und dem Stillsitzen erst einmal motorisch lösen. Zuerst regredieren wir auf ein wildes, diffuses Urteil, bevor wir uns wirklich ein Urteil bilden. Doch ist schon der Applaus gemeint, meistens sogar gut. Wir klopfen den Auftretenden mehr oder weniger herzhaft auf die Schultern.

Klatschen kann je nach Ort und historischer Zeit fehl am Platz sein. Nicht nur nach Beethovens Großer Leonoren-Ouvertüre, die seit Mahler oft vor dem letzten Bild des Fidelio gespielt wird, ist Klatschen verpönt. Seit Langem darf Predigern nicht applaudiert werden. Und wie in Bayreuth und an höfischen Theatern darf auch im House of Commons nicht geklatscht werden. Daher das langgezogene, manchmal grölende "Hear, hear“. Dennoch brechen immer öfter Klatscher zwischen die Sätze einer Symphonie hinein.

Das Bierzeltklatschen zum Radetzkymarsch im Neujahrskonzert erinnert nach seligen Momenten daran, dass die Welt draußen rau ist. Wir wären schon zufrieden, würde das Publikum den Einsätzen des Dirigenten folgen und die Gattin des Emirs von Katar dem Bundespräsidenten, neben dem sie im Musikverein platziert ist. Und dann setzen die Wiener Philharmoniker selber wie Rockmusiker mitten im noch nicht abgeebbten Applaus ein, wie unter Christian Thielemann mit Beethovens Fünfter: Roll over Beethoven. Nimmt die Kenntnis der Musik und anderen Künste ab mit dem Respekt vor ihr?

Wir verstehen den Applaus als eine reine, eine passive und ehrliche Reaktion. Wir glauben, dass er die geäußerte Zustimmung ist, als Ausdruck eines persönlichen, mit anderen geteilten Empfindens. Doch um die Zustimmung zur künstlerischen oder politischen Leistung wird gekämpft.

Nicht nur der Applaus im Fernsehen ist Objekt der Kontrolle. Als Teil der Show wird das Klatschen mit Stampfen, Kreischen, Pfeifen und Juchzen ausgebaut. Vor der Sendung geübt, wird es mit Einsätzen angetrieben. Für den freien Eintritt in die Sendung wird unbedingter Applaus erwartet, aus Angst vor "stromlosen“ Momenten?

Bezahlung gibt es auch. Schon seit den Römern versuchen Claqueure den Eindruck zu steuern, der auf das Urteil der Musik- und Theaterkritik oder des politischen Feuilletons gemacht werden soll. Schreibt die Kritik gegen den Applaus der Menge an, dann muss sie Argumente aufwenden gegen den Populismus in der Politik, gegen die Kommerzialisierung der Kunst.

Unser Empfinden dafür, ob der Beifall zum Dargebotenen passt, zeigt, dass der Applaus ästhetisch und zum Zeichen werden kann. Angenehm das gleichmäßige Rauschen eines großen Publikums. Rhythmisches Klatschen oder langer Applaus: Komm (noch einmal) auf die Bühne! Stehapplaus: Möchte die Netrebko für immer Göttin der Bühne bleiben!

Klatschen kann Musiker anfeuern, selbst zur Musik werden. Fabelhaft Steve Reichs "Clapping Music“. Wie beim Vorklatschen eines bestimmten Rhythmus klatschen die zwei Performer das Stück in nicht zu langsamem Tempo. Einfache Rhythmen werden mit Auslassungen oder Betonungen gegeneinander verschoben. Selbst bei verhaltener Ausführung wirkt das Stück intensiv.

Das Lauteste an der Musik war der Applaus

Dass das Klatschen Klang einrahmt, beweist John Cage. "Vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden“ führt Stille auf. Nichts wird zu Gehör gebracht. Damit werden die kaum merklichen Geräusche im Saal, auf der Straße und der Körper des Publikums als Musik wahrgenommen. Der Applaus am Beginn und Ende des Stücks, für das die Musiker an ihrem Instrument Platz nehmen, wird zum überlauten Ereignis.

Selten wie hier wird das Nichtklatschen als die Stille bewusst, die der Dirigent sonst vom Publikum einmahnt, indem er den Taktstock hebt. Dass die Stille, die als inszenierte immer etwas vom Tod hat, in großen Ansammlungen immer weniger ausgehalten wird, ist neuerdings im Sport zu beobachten. Statt einer Schweigeminute für verstorbene Fußballer wird in englischen Stadien eine Minute lang applaudiert.

Kultische Grundlage, um zu verbinden

Klatschen kann als vulgär - man vergleiche die Ablehnung des Pfeifens in den Räumen der Staatsoper - gelten und daher eine mildere Nachahmung fordern lassen, etwa das Schlagen der Geigenbögen auf die Saiten oder das Klopfen auf die Sitzbänke im Hörsaal. Durch ungewöhnliches, lautes Klatschen oder durch akustische Zusätze machen sich Einzelne zum Missfallen anderer wichtig. Ein "Bravo!“-Ruf, ein vorauseilendes Klatschen kann denn auch mutig erscheinen.

Man sieht oder, besser, hört: Klatschen differenziert sich wie alles institutionelles Tun. Man muss von einer Kultur des Klatschens sprechen, auch einer Unkultur. Aber gibt es nicht auch eine Natur des Klatschens? Vergessen wir nicht, dass wir beim Klatschen unsere Hände berühren. Für kurze körperliche Momente sind wir bei uns, auch als Menge. Wir stimmen als Klatschende akustisch miteinander überein. Es ist, als ob wir uns zuerst ganz den Musikern, Schauspielern und Rednern überantworten, damit sie uns rühren und ergreifen, doch nur, um uns im Moment des Applauses wieder in uns zurückziehen zu können. Hat das damit zu tun, dass wir beim Applaus natürlich werden? Naturgemäß schlagen wir beim Klatschen immer mit der von Geburt her starken Hand auf die schwache. Und dann: Je nach Takt, gerät das Klatschen zum Ausdruck des freudigen oder weniger freudigen Erschreckens, des tiefen, erschütterten oder dankbaren Eindrucks. Dieser Eindruck ist zugleich Ausdruck, hervorgegangen vielleicht aus einem sich mit sich selbst verbindenden Sein, beruhend auf einer kultischen Grundlage.

Der Autor ist Dozent für Philosophie

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