Auf dem Boden der Verfassung

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* Die „FAZ“ verteidigt den tschechischen Präsidenten Václav Klaus gegen den Vorwurf, er verweigere zu Unrecht die Unterschrift zum Lissabon-Vertrag.

Einer verbreiteten Darstellung zufolge sabotiert der tschechische Präsident Václav Klaus den Lissabon-Vertrag, indem er ihm seine Unterschrift verweigert. Seine Absicht sei es, dessen Inkrafttreten, wenn er es schon nicht verhindern könne, wenigstens so lange wie möglich hinauszuschieben. Damit verstoße er nicht nur gegen die Regeln der Europäischen Union, sondern auch gegen die tschechische Verfassung.

Bevor sich diese Legende verfestigt, sollte man sich einiger Fakten erinnern. […] Eine Gruppe von 17 tschechischen Senatoren hat noch vor dem irischen Referendum neuerlich eine Verfassungsklage gegen den Vertrag von Lissabon eingebracht. Das Gericht wird am 27. Oktober beraten. Bis es entschieden hat, gilt für Klaus, was für den deutschen Bundespräsidenten vor dem Spruch in Karlsruhe galt: Er dürfe seine Unterschrift selbst dann nicht unter die Ratifizierungsurkunde setzen, wenn er nichts lieber täte. Man weiß, dass dies nicht der Herzenswunsch des tschechischen Präsidenten ist. Aber eine Sache ist seine politische Beurteilung des Lissabon-Vertrages, eine andere ist es, ihm vorzuwerfen, er verstoße gegen die tschechische Verfassung. […]

Eine BeneÇs-Fußnote zum Lissabon-Vertrag verlangt

Klaus hat mehrmals bewiesen, dass er sich nicht scheut, gegen den Strom zu schwimmen, etwa in Sachen Klimapolitik. Er ändert seine Ansichten nicht, weil sie nur von einer Minderheit geteilt werden. Aber er versteht es meisterlich, immer wieder politische Mehrheiten um sich zu versammeln, nötigenfalls auf Umwegen. Ein solcher Umweg ist seine kürzlich vorgebrachte Forderung nach einer Fußnote zum Lissabon-Vertrag, die eine rückwirkende Anwendung der Charta der Grundrechte auf die Tschechische Republik ausschließen soll. Das soll verhindern, dass die im Vertrag garantierten Grundrechte die tschechische Eigentumsordnung aushebeln, die auf den BeneÇs-Dekreten beruht.

Nun kann nicht bestritten werden, dass durch die Entrechtung und Vertreibung der Deutschen sowie durch den Raub ihres Eigentums tschechoslowakisches und internationales Recht gebrochen wurde. Ohne sie ausdrücklich zu billigen, duldeten die Alliierten diese Vorgänge, denn Deutschland hatte den Krieg begonnen und verloren. Rein rechtlich lassen sich die BeneÇs-Dekrete nicht wasserdicht versiegeln, ihre fortwährende Wirkung beruht auf dem politischen Willen, die eigentumsrechtlichen Folgen der Nachkriegsverbrechen nicht anzutasten.

Weil dies so ist, wurde die Tschechische Republik samt BeneÇs-Dekreten in die EU aufgenommen. Solange (und nur solange) dieser Wille besteht, braucht sie auch nicht zu befürchten, dass der Europäische Gerichtshof sich eines Unrechts annimmt, das als Recht ausgegeben wird. Die Forderung des tschechischen Präsidenten ist also einerseits überflüssig, andererseits ebendeshalb leicht zu erfüllen. Wie die Zusagen an Irland könnte die von Klaus geforderte Klausel dem kroatischen Beitrittsvertrag als Zusatzprotokoll angefügt werden.

Damit wäre Klaus nach eigenen Aussagen zufrieden. Es ist ihm gelungen, sich durch diese Forderung aus der innenpolitischen Quarantäne zu befreien, die wegen seiner Kritik am Lissabon-Vertrag über ihn verhängt worden war. Zwei von drei Tschechen sind der Ansicht, dass die Annahme des Lissabon-Vertrages ohne die von Klaus verlangte Fußnote die BeneÇs-Dekrete gefährden könnte. […] Der tschechische Präsident wird den Spruch des Verfassungsgerichts abwarten und seine Unterschrift unter den Vertrag setzen, wenn dessen Urteil positiv ausfallen sollte und die EU der Fußnote zustimmt. Nichts anderes kann und muss von ihm erwartet werden.

* Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. 10. 2009

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