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Als Franz Wittenbrink (Jahrgang 1948) im Jahr 1991 am Theater Basel "Verführung von Engeln in Hauseingängen" herausgebracht hat, ahnte er noch nicht, dass damit ein neues Genre geboren wurde. Denn das was der gelernte Klavierbauer, studierte Soziologe, passionierte Theatermusiker und Komponist seither auf zahlreichen Bühnen von Basel bis Hamburg und von Saarbrücken bis Wien gebracht hat, ist nicht nur ein einfacher Liederabend. Mit dem was der 66-Jährige, der seine musikalische Ausbildung im Musikinternat der Regensburger Domspatzen begonnen hat, macht, hat er nicht nur ein altes Genre neu belebt, sondern -wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung einmal schrieb -ein neues geschaffen: den Wittenbrink-Abend.

Das, in der deutschsprachigen Theaterlandschaft seither äußerst beliebte, Genre garantiert volle Häuser und funktioniert so: In der Art einer musikalischen Revue reiht Wittenbrink Popsongs, bekannte Schlager, Chansons, klassisches Liedgut aus Oper und Operette, Hitparadenhits und selbst Komponiertes aneinander, wobei das Besondere ist, dass er die verschiedenen musikalischen Nummern durch eine Rahmenhandlung lose miteinander verbindet. Seine Figuren, "Männer" oder "Sekretärinnen" (wie zwei seiner erfolgreichsten Abende aus den 1990er-Jahren heißen), kommunizieren fast ausschließlich über Musik(texte). Diese dichtet Wittenbrink auch mal, je nach narrativer Notwendigkeit und ohne jegliche Angst vor dem Kalauer einfach um, verfremdet Melodien und vermischt sie nicht selten zu einem kunstvollen Potpourri. In der Summe ergibt die szenische Nummernrevue dann einen mal mehr, mal weniger hintersinnigen, aber immer heiter vergnüglichen Theaterabend mit viel Musik, an dessen Ende das meist begeisterte Publikum mit rhythmischem Klatschen -ein Novum auf Theaterbühnen -eine Zugabe einfordert. Dabei kann es auch mal vorkommen, dass Zugaben so lange gefordert werden, dass dem Ensemble keine andere Möglichkeit mehr bleibt, als das ultimative Schlusslied zu singen, das dann heißt: "Haut endlich ab".

Schwitzen für die Schönheit

Nach dem Burgtheater, den Salzburger Festspielen, dem Schauspielhaus Graz ist es besonders das Theater in der Josefstadt, das seiner Liebe zum Wittenbrink-Abend unermüdlich frönt. Nach dem umjubelten "Eh wurscht" (für das Wittenbrink 2010 den Nestroy-Preis erhalten hat) und "Forever Young" (2013) gastiert er nun in den Kammerspielen. Der gut eineinhalbstündige szenische Liederabend "Schön schön schön", dessen Kunstwert als überschaulich bezeichnet werden muss, hält auch diesmal weitgehend, was man sich von ihm erwartet.

Nachdem Wittenbrink sein Personal schon an transitorischen Orten wie in einer Abflughalle, an einem Würstelstand oder in einem Wirtshaus versammelt hat, ist es diesmal ein Fitnessstudio. Hier im "Lady Fitness" mühen sich vier Damen in den besten Jahren (Marika Lichter, Sona MacDonald, Ann Mandrella und Isabel Weicken) mittels "Sché -die Unterbewusstseinsmethode" ab, dem gesellschaftlichen Schönheits-und Schlankheitsdiktat Genüge zu tun. Unter der kompetenten Anleitung der geschäftsfördernd, immer gute Laune verbreitenden Susi (Ruth Brauer-Kvam) sowie deren Bruder Ferdl (Martin Niedermair), einem Traum von einem Fitnesstrainer, von dem die Damen auch mal Zusatzdienste einfordern ("Olle Weiber san G'fraßta" - Georg Danzer, "I glaub die Lady schaff i nie" nach Rogers "The Lady is a Tramp"), wird an der Verdrängung überflüssiger Pfunde gearbeitet.

Mit Spaß und Begeisterung

Aber was solls, "die Schweißperlen sind doch nur die Abschiedstränen eures Fettes" und gelten einem lohnenden Ziel: "Männer" (nach Grönemeyer) oder anders gesagt, die Damen suchen "Ana der aufpasst auf mi" (nach Gershwins "Someone to watch over me"), denn sonst "Baby, was wird aus mir" (nach "Baby, it's Cold Outside" und Purcells "If Love's a Sweet Passion"). Das Wenige der Lebensgeschichten erfahren wir aus ihren über drei Dutzend Songs ("Ein paar Schläge in die Fresse","Ich bin gewöhnt an sein Gesicht" oder "Bitte geh nicht fort" ) oder auch über die subtil detailverliebten Fitnessoutfits (Kostüme: Nini von Selzam). Auch wenn dieser Wittenbrink-Abend an vorangegangene kaum heranreicht, das wunderbare Ensemble ist sichtlich immer noch mit Begeisterung und Spaß dabei.

Schön schön schön Kammerspiele der Josefstadt, 22., 23., 30. September, 1.-3., 11.-13., 25.-27. Oktober

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