Von Lied zu Lied zu Tode amüsiert

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Nach dem Burgtheater und dem Grazer Schauspielhaus hat jetzt auch das Theater in der Josefstadt seinen Wittenbrink-Abend. Unterhaltung mit gezügeltem Kunstanspruch.

Der deutsche Theatermusiker und Komponist Franz Wittenbrink hat dem Theater 1991 in Basel ein Genre erfunden: den Wittenbrink-Abend. Das in der deutschsprachigen Theaterlandschaft seit Jahren beliebte Genre garantiert volle Häuser und funktioniert so: In der Art einer musikalischen Revue, meist durch eine lose Rahmenhandlung miteinander verbunden, reiht Wittenbrink Popsongs, bekannte Schlager, Chansons, klassisches Liedgut aus Oper und Operette und Hitparadenhits aneinander, wobei er die Texte oft und ohne Angst vor dem Kalauer einfach umdichtet und die Melodien verfremdet, sie nicht selten zu einem kunstvollen Potpourri vermischt. In der Summe ergibt die szenische Nummernrevue dann einen mal mehr, mal weniger hintersinnigen, aber immer heiter vergnüglichen Theaterabend mit viel Musik, an dessen Ende das begeisterte Publikum mit rhythmischem Klatschen eine Zugabe einfordert.

Nach dem Burgtheater und dem Schauspielhaus Graz hat hierzulande nun auch das Theater in der Josefstadt seinen Wittenbrink-Abend. Und auch hier hält der fast zweistündige Liederabend, dessen Kunstanspruch als gezügelt bezeichnet werden kann, weitgehend, was man sich von ihm erwarten konnte, auch wenn man schon bessere Wittenbrink-Abende gesehen hat.

Wenn sich der Vorhang in der Josefstadt hebt, gibt er den Blick auf einen rot-weiß-roten Würfel frei, der sich zu den Klängen der Bundeshymne sogleich kunstvoll in einen Würstelstand verwandelt. Auf dem Dach dieser Österreich-Bude hat das fünfköpfige Musikensemble mit Wittenbrink am Klavier Platz genommen. Vom Bühnenhimmel hängen ein Paar überdimensionierte Würstel nicht identifizierbarer Geschmacksrichtung herab.

Transitorischer Ort

An diesem für Wittenbrink typischen Ort - ein transitorischer Ort, wie die Tankstelle, die Wartehalle eines Flughafens oder die Hotellobby auch - versammelt er seine mehr oder weniger schrägen Figuren, Vertreter des vorstädtischen Subproletariats, Obdachlose, Handelsreisende, einsame Herzen, Verlorene, die ganz ohne Zwischentexte von Lied zu Lied von ihren Sorgen, Ängsten, Wünschen und Schicksalsschlägen erzählen. Da begegnen wir etwa dem Mittelstandsproblem "Crazy Rainer" (Kurt Sobotka), der unter der Fuchtel seiner hundenärrischen Gitti ebenso leidet wie unter dem Alter und der notorisch leeren Kasse, dem elenden Säufer Wotruba (Toni Slama), der singt: "I sauf' und zwar mit System", oder dem opernverliebten Straßenkehrer Scopavincini (Oliver Huether), der sich nicht unbescheiden für den "schönsten Feger von Wien" hält und diesem Ruf in einer Nummer hinter der Würstelbude mit der amerikanischen Milliardärsgattin (Sona MacDonald) ohne Umschweife nachkommt, was diese mit einem schrillen "Koloratoitus" lautstark bestätigt. Da sind noch der Numerus-Clausus-Flüchtling aus Deutschland, der, obwohl gerade ohne feste Bleibe, alles "richtig geil" findet oder die Friseuse Jacqueline, die den Polterabend ausklingen lässt.

Einen kleinen Österreich-kritischen Seitenhieb wollte sich Wittenbrink am Ende dieses leichten Abends jedoch nicht verkneifen: Der Hausherr Herbert Föttinger tritt in der Rolle eines integrationswilligen muslimischen Rosenverkäufers auf, zwei schwer bewaffnete Polizisten auf Streife halten ihn jedoch für einen gefährlichen Terroristen. Zu Hildegard Knefs "Für mich soll's rote Rosen regnen" metzeln sie die ganze Würstelstandgesellschaft nieder. "Eh wurscht", das Publikum war trotzdem amüsiert und das Josefstadt-Ensemble mit sichtbarer Begeisterung dabei.

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