Sommergäste - © Foto: SF / Monika Rittershaus

Aus Trägheit im Stadium der Unbekümmertheit

Werbung
Werbung
Werbung

Von Tschechow hat er gelernt. Als Maxim Gorki im Jahr 1904 sein Drama „Sommer­gäste“ schrieb, knöpfte er sich eben­diese gelangweilte Gesellschaft vor, über die sich Tschechow schon hergemacht hatte. Es mangelt ihnen an gar nichts, äußerlich zumindest, wenn nicht diese innere Leere sie niederdrücken würde. Also beobachten wir, wie sie einander betrügen, sich aufplustern und ins Koma saufen, mit sich und den anderen nichts anzufangen wissen, sich gegenseitig anöden. Gewissenlose Kerle, ignorante Deppen, wo man hinsieht, ­eine verantwortungslose Bande – doch immerhin gesteht Gorki den Frauen etwas mehr Klugheit und Anstand zu. So sieht eine Welt vor dem Untergang aus, nur wissen das die Beteiligten nicht.

Der Regisseur Evgeny Titov und wir wissen mehr. Zwei Jahre bevor Gorki mit dem Stück an die Öffentlichkeit trat, hatte Lenin seine Schrift „Was tun?“ publiziert. Hier war schon nachzu­lesen, was der verkommenen Oberschicht in Russland blühen sollte. Man kann davon ausgehen, dass die dekadente Gesellschaft, wie sie uns Gorki vorstellt, die anstehende Revolution nicht überleben wird. Nicht dass sie nicht das Zeug dazu hätten, ihre Lage zu analysieren, ihre Trägheit hält sie im Stadium der Unbekümmertheit. Diese Ahnung von etwas Kommendem macht die Aufführung auf der Perner-Insel in Hallein zu einem beklemmenden Ereignis. Es braucht keiner aufdringlichen Verweise auf unsere Zeit, um zu erkennen, dass die Gesellschaft der Untergeher in ihrem penetranten Wirklichkeitsabstoßungsverfahren unsere eigene widerspiegelt.

Titov verweigert sich großem Erneuerungsthea­ter. Er setzt auf die Kraft der Dialoge, in denen die Widersprüche einer Endzeit geborgen sind. In denen steckt sowieso das Konfliktpotenzial einer ganzen Zeit. Die Schauspieler schaffen es in einer großartigen Ensembleleistung, den Niedergang symbolisch zu vermitteln. Am Anfang ­eine Gruppe aufgeräumt heiterer Personen in Feierlaune, am Ende eine Gesellschaft, die sich in ­Rage geredet hat und erledigt darniederliegt. Der moralische Untergang hat längst begonnen, jetzt sind sie auch noch körperlich am Boden. Wenn das nicht ein tristes Bild für ihre Aussichten in der Zukunft ist!

Ein guter Teil der Dynamik ist dem Bühnenbild von Raimund Orfeo Voigt zu verdanken. Es ist weniger Datscha als prächtiger Salon. Ortswechsel werden durch ständiges extrem verlangsamtes Verschieben der Kulisse nach links vorgenommen, sodass schleichend ­wechselnde Raumerfahrungen zustandekommen. Ein wunderbares Beispiel dafür, was Theater heute zu leisten imstande ist!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung