Biedermeier-Bosheiten und solche von heute

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Eine Konfrontation von Arbeiten des Biedermeiermalers Carl Spitzweg und Erwin Wurms im Leopold Museum bereichert die Wahrnehmung beider Œuvres.

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Eine Konfrontation von Arbeiten des Biedermeiermalers Carl Spitzweg und Erwin Wurms im Leopold Museum bereichert die Wahrnehmung beider Œuvres.

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Strickende Zollbeamte treffen auf die "New York Police Cap", dem "Sonntagsjäger" im Zylinder wird das Foto "Landadel" gegenüber gestellt, neben Spitzwegs "Bücherwurm" kann der Besucher selbst eine Skulptur mit Philosophieschriften formen. Das Leopold Museum wagt in seiner Ausstellung "Carl Spitzweg -Erwin Wurm" viel - und gewinnt. Arbeiten des deutschen Biedermeiermalers werden mit solchen Wurms konfrontiert, was eine Bereicherung für die Wahrnehmung beider Œuvres darstellt. "Auf den ersten Blick ist dies eine sehr widersprüchliche Konstellation", sagt der Direktor des Leopold Museums, Hans-Peter Wipplinger, als er für die FURCHE durch die Ausstellung führt. "Doch die beiden Künstler begegnen sich über die Aspekte des Humors, der Ironie und der genauen Beobachtungsgabe."

Offen und direkt

Carl Spitzweg, dessen Arbeiten erstmals in diesem Ausmaß in Österreich gezeigt werden, war nur oberflächlich betrachtet ein Maler von Biedermeier-Idyllen. In Wahrheit legte er trotz Überwachungsstaat und Zensur subtil und unterhaltsam den Finger in die Wunde. "Seine Offenheit und Direktheit sind ein Alleinstellungsmerkmal im Biedermeier", sagt Wipplinger. "Für mich war es wichtig, Spitzwegs gesellschafts- und zeitkritisches Werk neu zu interpretieren. Die Gegenpositionen Wurms zeigen, dass seine Themen nach wie vor sehr aktuell sind." Spitzweg machte sich gerne über Beamte und Vertreter der Exekutive lustig und reagierte auf aktuelle Begebenheiten. Nach den Napoleonischen Kriegen waren die Zollwächter ihrer Funktion beraubt, bei Spitzweg stricken sie, rauchen und fangen Fliegen. Im Kanonenrohr liegt ein Vogelnest, die Schießscharte wächst bereits zu. Als das ausschließliche Jagdprivilegium des Adels fiel, malte Spitzweg Bürger mit Zylinder, die mit ausgiebiger Jause in den Wald ausrückten, um dort vor dem Wild mehr zu erschrecken als dieses vor ihnen.

"Bildregisseur" Spitzweg

Auch ins Schrullige gesteigerte Schreiberlinge hatte Spitzweg gerne auf der Schaufel, darunter solche, die sich ihren tristen Alltag mit Kakteen vertreiben: einer davon neigt sich gar dem Beamten anstatt dem Licht zu - die Rose korreliert mit der roten Schnapsnase des Mannes. In Hunderten Bildern zeigt Spitzweg auch Mönche, die sich nicht streng an das Bild des entsagenden Eremiten halten. Da werden Hühner gegrillt, Weinflaschen geöffnet, Mädchen mit lüsternen Blicken beäugt.

Das wohl bekannteste Bild Spitzwegs darf in der Ausstellung nicht fehlen: "Der arme Poet" fiel anfangs durch, da es als Affront galt, einen hehren Künstler als armen Menschen zu zeigen. "Eine Ironie der Kunstgeschichte ist, dass hundert Jahre überlegt wurde, ob die Finger des Poeten wohl zeigen, dass er deklamierte - bis man eine Notiz Spitzwegs fand, die besagte, dass der arme Poet einen Floh zerdrückte", beschreibt Wipplinger. Spitzwegs Bilder zeigen bei aller Vielfalt seiner Figuren die Eingeengtheit der damaligen Zeit, sie sind in ihrer Skurrilität und subtilen Boshaftigkeit höchst durchgeplant, sodass Wipplinger Spitzweg einen "Bildregisseur" nennt.

Kakteen und Gurken

All dem steht Erwin Wurm - er musste von Wipplinger erst überzeugt werden - mit seinen Arbeiten nicht nur gegenüber, seine Werke fügen sich in die Schau ein. Fast erscheint es unglaublich, dass keines erst für die Ausstellung geschaffen wurde. Die Enge des Biedermeierdaseins korreliert mit jener seines "Narrow House", einem Nachbau seines Elternhauses zusammengezogen auf 1,5 Meter Breite, das die Zuschauer auch betreten dürfen. Den völlernden Mönchen hat man Wurms Riesenkartoffel als Arme-Leute-Essen an die Seite gehängt. Wenn sich im "Kaktusfreund" Spitzwegs die Pflanze und der Beamte krümmen, so sind es bei Wurm vielerlei Gurken. Und wenn Spitzweg die wollüstigen Blicke noch verhalten darstellt, spricht Wurms Kopfloser mit "Ärgerbeule" in der Hose Klartext. "Sie befeuern sich gegenseitig", sagt Wipplinger. "Durch die Konfrontationen eröffnen sich andere Wahrnehmungshorizonte." Ob Spitzweg oder Wurm, beide Künstler zeigen, ohne auf den Humor reduziert werden zu wollen, mit Ironie und Zynismus Abgründe auf: solche des Biedermeiers - und heutige.

Carl Spitzweg - Erwin Wurm

bis 19.6., Leopold Museum

Mi-Mo 10 bis 18 Uhr

www.leopoldmuseum.org

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