Humor in Öl auf Holz

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Ironisch und seiner Zeit voraus, ist der beliebte Maler Carl Spitzweg zu seinem 200. Geburtstag noch immer aktuell.

Viele lieben ihn. Vielen ist er aufgrund seiner Popularität suspekt. Carl Spitzweg gehört auch an seinem 200. Geburtstag zu den bekanntesten Malern des deutschsprachigen Raums. Eine Umfrage in Deutschland ergab vor einigen Jahren, dass Spitzwegs Gemälde "Armer Poet" (1837-39) in der Beliebtheitsskala gleich auf Platz 2 hinter Leonardos "Mona Lisa" folgt. Grund genug, zum Jubiläum eine Zehn-Euro-Gedenkmünze mit der Darstellung des mittellosen Dichters, der in seiner ärmlichen Dachkammer mit Schlafmütze und Regenschirm Verse schmiedet, herauszugeben.

Nicht in den kühnsten Träumen hätte der studierte Pharmazeut und malerische Autodidakt den ungemeinen Erfolg seines "Armen Poeten" erahnen können. Denn als Spitzweg das kleinformatige Ölbild 1839 erstmals öffentlich präsentierte, hagelte es bloß Kritik. Und zunächst sah es auch gar nicht nach einer Künstlerkarriere aus. Geboren am 5. Februar 1808, absolvierte der Sohn einer Münchner Kaufmannsfamilie zunächst auf Wunsch des Vaters äußerst erfolgreich Studien der Pharmazie, Botanik und Chemie. Mit 25 Jahren brach Carl Spitzweg nach einer längeren Krankheit seine Apothekerlaufbahn plötzlich ab. Um endlich das zu tun, wozu er sich noch mehr berufen fühlte: tagsüber zu zeichnen und zu malen - und am Abend quasi als Ausgleich zu dichten.

Allerdings hat seine naturwissenschaftliche Ausbildung auch sein Werk geprägt. Spitzwegs geologische Bibliothek, seine Kenntnis der chemischen Zusammensetzung von Farben, seine eigens aufgebaute Mineraliensammlung finden Niederschlag in seiner Malerei. Carl Spitzweg war ein Maler des Details und ein genauer Naturbeobachter. Dies spiegeln Bilder wie "Der Blumenfreund" oder "Der Geologe". "Staune voll Ehrfurcht zu den höchsten Bauwerken der Natur, den Bergen und Gebirgen empor", notierte Spitzweg einmal in sein Skizzenbuch.

Spitzweg kein "armer Poet"

Im Unterschied zu seinem "Armen Poeten" musste sich der lebenslange Junggeselle aufgrund einer Erbschaft nie finanzielle Sorgen machen. Er war auch keineswegs so weltfremd, wie man oft in Analogie zu seinen verstaubten Figuren annahm. Carl Spitzweg, der 77 Jahre alt wurde, sprach viele Sprachen und reiste quer durch Europa. Seine Biografie enthält wenig Dramatik. Selbst sein Ende - er verstarb sitzend in einem Lehnstuhl - war so unspektakulär, wie er sich das in einem Gedicht gewünscht hatte: "Ganz sanft im Schlafe möcht' ich sterben - Und tot sein, wenn ich aufwach'!"

Humor in Öl auf Holz. So lässt sich Carl Spitzwegs Malerei wohl am besten charakterisieren. Denn der hintergründige Humor des Münchner Malers ist kaum zu überbieten, wie eine seiner skurrilsten Darstellungen aus dem Jahr 1840 mit dem Titel "Die Angebetete" zeigt. In einer mit Papieren und Büchern gefüllten Schreibstube hat ein älterer glatzköpfiger Schreiber sein Pult gerade verlassen, um einer Frau den Hof zu machen. Unterwürfig kniet er vor der Angebeteten - allerdings hat er dabei etwas Entscheidendes übersehen. Da er die Brille auf dem Tisch vergessen hat, kniet der Liebeswerber hier irrtümlicherweise vor einer Modellpuppe. Sie trägt vogelscheuchenartig ein blaues bodenlanges Kleid und eine Perücke mit Hut. Dass es Spitzweg hier keineswegs nur um die Illustration einer mehr als absurden Situation geht, verdeutlichen weitere Elemente. Denn über dem Schreibtisch hängt unübersehbar ein großes Gemälde des Sündenfalls, zugleich spaziert im Hintergrund ein junges Pärchen durch den Raum, der Mann mahnend den Zeigefinger hebend.

Verschlüsselt, witzig und zugleich unkonventionell hat Carl Spitzweg hier einen malerischen Kommentar zum Verhältnis der Geschlechter, auch zur Divergenz zwischen Jugend und Alter - und zur Beziehung zwischen Menschen und Objekten gewagt. In einem seiner Gedichte hat der Maler Humor als den einzigen wirklichen Halt im Leben beschrieben, als rettenden Baum, der den Menschen bei seinem ständigen "Wandel am Abgrund" vor dem Absturz bewahren kann. "Humor", schreibt Spitzweg, "so heißt die Latsche schlicht / Gleich Göttern hochgeboren - / Erhascht du sie im Gleiten nicht, / Dann, Freund bist du verloren!"

Humor als einziger Halt

Carl Spitzwegs ungemeine Beliebtheit hat auch eine Kehrseite. Besonders im Bereich der experimentellen Avantgardekunst galt Spitzweg seit den 1960er Jahren als Inbegriff des harmlos-bürgerlichen Biedermeier-Malers. Kann ein Künstler, der auf Kalender, Teppichen und Kaffeetassen nahezu jeden Haushalt ziert und der zugleich zu den Lieblingsmalern der Nationalsozialisten gehörte, überhaupt noch von ernstem Interesse für die heutige Kunstgeschichte sein?

Natürlich kann er das. Denn die Banalisierung durch die Trivialkultur vermag genauso wenig die Qualität eines Werks zu schmälern wie die ideologische Vereinnahmung eines verstorbenen Künstlers durch ein totalitäres Regime. Allerdings ist es tatsächlich schwierig, einen neuen Blick auf Bilder zu werfen, die bereits so mit Klischees und Interpretationen überfrachtet sind. Erst durch eine tiefere Auseinandersetzung mit ihm lässt sich erkennen, dass seine alltäglichen Genredarstellungen in Zeiten nationalistischer Historienbilder und Militärverherrlichungen durchaus subversiv waren.

Carl Spitzweg war kein politischer Agitator, auch nicht übermäßig sozialkritisch. Er war ein pazifistisch ausgerichteter, humorvoller Kritiker eines jubelnden Militarismus, der Deutschland nach den sogenannten "Freiheitskriegen" Anfang des 19. Jahrhunderts erfasste. Seine Kritik liegt aber nicht auf der Bildoberfläche. Den stillen Protest gegen mörderische Kriege verpackte er subtil in malerische Pseudoidyllen. Dies spiegeln seine Soldatenbilder, die faszinieren, da es auf ihnen weder Mut, noch Kampfbereitschaft, noch Gehorsam gibt. Eines seiner Meisterwerke trägt den Titel "Der strickende Vorposten". Spitzweg hat es um das Jahr 1855 gemalt. Im Zentrum des kleinen Ölgemäldes ist eine Kanone zu sehen. Sie scheint aber schon lange nicht mehr gebraucht worden zu sein, denn in dem Rohr hat ein Vogel sein Nest gebaut. Neben der Kanone steht ein überrascht dreinschauender Soldat, der ein blaues Strickzeug in den Händen hält. Der Antiheld hat seine kontemplativ-häusliche Tätigkeit kurz unterbrochen, so als wäre er durch unseren Blick gestört worden. Krieg- und Friedensmotive, männliche und weibliche Tätigkeiten hat Spitzweg hier ineinander verschränkt - und somit, wenn auch ironisch verpackt, die traditionellen Geschlechterzuweisungen ad absurdum geführt.

Impressionistische Farben

Lang wurde auch übersehen, dass es nicht nur den erzählerischen Biedermeiermaler absurder Augenblicke und kauziger Sonderlinge gibt, sondern auch einen Vorimpressionisten Spitzweg, dessen Landschaften aufgrund der kühnen Farben bestechen. Dies zeigt eindrucksvoll "Nillandschaft mit Störchen", ein Bild, das Spitzweg um das Jahr 1860 malte - wie so häufig auf das Holzbrett einer Zigarettenkiste. Wäre dieses Gemälde nicht ungemein klein, so könnte man aufgrund der Mischung aus Abstraktion und Gegenständlichkeit mutmaßen, es sei vor nicht allzu langer Zeit entstanden. Bei dem untypischen Spitzweg handelt es sich um eine imaginierte Landschaft, denn der Münchner Maler war nie in Ägypten. Allerdings bereiste er 1851 London und Paris, wo er die vorimpressionistische Malerei kennenlernte.

Aus kunsthistorischer Perspektive faszinieren diese breitpinselig gemalten Stimmungsbilder, weil Spitzweg hier seiner Zeit kühn vorausgaloppiert. Sie interessieren aber auch in psychologischer Hinsicht. Da sie vor Augen führen, dass Spitzweg, der mit seinen Genrebildern längst einen unverkennbaren Stil gefunden hatte, sich keineswegs auf seinen Innovationen ausruhte. Vielmehr versuchte er, seiner Kunst stets zu neuen Impulsen zu verhelfen; und genau das auszuprobieren, was man überhaupt nicht von ihm erwartete. Seine unermüdliche Suche nach neuen Ausdrucksformen hat Spitzweg humorvoll in folgendem Aphorismus auf den Punkt gebracht: "Leben ist die Lust zu schaffen, anders Leib und Seel' erschlaffen."

Die Autorin gestaltet diese Woche die Ö1-Sendereihe "Gedanken für den Tag" über Carl Spitzweg.

Bücher:

CARL SPITZWEG

Von Jens Christian Jensen Prestel Verlag, München u.a. 2007 96 Seiten, € 15,40

CARL SPITZWEG

Besuche im glücklichen Winkel

Von Joachim Nagel. Belser Verlag, Stuttgart 2008. 128 Seiten, € 20,80

Ausstellung:

Carl Spitzweg und Wilhelm Busch

Museum Georg Schäfer, Schweinfurt, 29.6.-2.11.

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