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Südwind pauschal

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Auf seiner Ferieninsel war Herr Spitzweg mit dem Pauschalpreis seines Reisebüros bei weitem nicht ausgekommen; zahlreiche Euroschecks mußten zusätzlich ihr Leben lassen. Erst nach glücklicher Heimkehr verstand er den tieferen Sinn des allgegenwärtigen Slogans: Dein Urlaub - die wertvollsten Stunden des Jahres!

Wie geruhsam mußte früher das menschliche Dasein gewesen sein, als es diese alljährliche Pflichtübung noch nicht gab! Auch in dieser Hinsicht sind die Italiener einfallsreicher; sie haben den Dreh heraus, öffentlich ihr Urlaubssoll zu erfüllen und insgeheim trotzdem daheimzubleiben.

Im August lassen viele von ihnen die Rolläden herunter, hausen zwei Wochen lang vergnügt und preiswert im kühlen Dämmerlicht ihrer Wohnung, die sie ungesehen nur nach Einbruch der Dunkelheit verlassen.

Ihre Nachbarn machen es ebenso, und nachher hat man sich viel zu erzählen über seine Ferien am Meer oder im Gebirge. Uns fehlt hierzu die Phantasie, deshalb fahren wir auch pflichtgemäß weg und harren in fernen Ländern auf die Erfüllung dessen, was uns die Werbung verspricht.

Herr Spitzweg wollte eigentlich nicht weg. Jahrelang war er zufrieden gewesen mit dem während der Urlaubszeit halbleeren Freibad um die Ecke, auch mit dem schattigen Biergarten zwei Straßen weiter und mit der „Italienischen Reise” von seinem Bücherbord.

Da es aber an seinen Fenstern keine Rolläden gibt, kam er bei seiner Verwandtschaft allmählich in den Verruf eines Alternativen. Also buchte er ein zweiwöchiges Urlaubspaket für jenes vom Reisebüro so verlockend angepriesene Eiland.

Schon beim Einstieg ins Flugzeug bewunderte er den therapeutischen Gleichmut des Personals. Was dem erdgebundenen Urlaubsreisenden zum Abbau seiner häuslichen Aggressionen die verstopfte Autobahn bedeutet, wurde hier von den Flugpauschalisten durch erbitterten Kampf um Fensterplätze und Gepäckablagen praktiziert.

Trotzdem ging Herr Spitzweg unverdrossen daran, sich zu erholen. Seine Landsleute hatten darin offensichtlich mehr Erfahrung, denn zwischen Frühstück und Abendessen gaben sie sich aus-nahms- und regungslos dem Sonnenbad hin.

Unterbrochen wurde dieser statische Zustand nur vom Mittagsbuffet, dessen Ritual Herr Spitzweg erst leidvoll ergründen mußte. Bis er sich aus seinem Liegestuhl hochgearbeitet hatte, war die Tafel bereits leergefegt.

Weil ihm der überwiegend horizontal verbrachte Tagesablauf bald nicht mehr behagte, wollte er auf Aktivurlaub umschalten. Doch der Tennisplatz glich einem Backofen, und bei seiner ersten Taucherstunde harpunierte ihn ein immer fröhlicher Rheinländer ins Gesäß.

Selbst die südlichen Nächte brachten Herrn Spitzweg nicht die versprochene Erholung. Während er sich auf seinem Laken schweißüberströmt hin- und herwälzte, sangen draußen seine Landsleute heftig gegen den griechischen Sternenhimmel an.

Nach dem Aufwachen versuchte er sich jedes Mal zu erinnern, was ihm der vergangene, teuer erkaufte Tag an Außergewöhnlichem beschert hatte. Ihm fiel dazu nichts ein, zumal er sich allmählich auch das Ärgern abgewöhnt hatte. So tröstete er sich endlich damit, daß in diesem Dämmerzustand wohl die richtige Erholung zu erkennen sei.

Nach vierzehn Tagen bestieg Herr Spitz weg neuerlich das Flugzeug, wo sich seine jetzt urlaubsgestählten Landsleute bereits wieder um Fensterplätze und Gepäckablagen balgten. Die Maschine stieg von einer Betonpiste auf und landete nach zwei Stunden auf einer ebensolchen.

Immerhin hatte er zwischen seiner Ferienpension und seiner Wohnung eine beträchtliche Distanz zurückgelegt, was ihn aber nicht weiter berührte. Denn seine sonntäglichen Wanderungen daheim in die Umgebung kamen ihm viel weiträumiger vor.

Als Herr Spitzweg nach zweiwöchiger Abwesenheit wieder die Wohnung betrat, stand sein Entschluß bereits fest: Bis zum nächsten Sommer sind Rolläden an den Fenstern! Und er malte sich schon aus, wie er auf dem Sofa liegen und des Olympiers „Italienische Reise” nachfahren würde — in der Kutsche, gemächlich, mit Fensterplatz.

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