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Zarmot oder der andere Amade

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Es machte dem Filialleiter Zarmot Spaß, mit ausgefallenen Ideen die Kunden zu überraschen und anzulok-ken. Und für dieses besondere Jahr mußte er sich natürlich etwas besonderes einfallen lassen, das war er sich, der Kaufhauskette und den Käufern schuldig. Selbstverständlich dachte er nicht erst darüber nach, als alle schon darüber sprachen, über das Jahr nämlich, sondern weitsichtig und voraus-plandend, wie es seine Art war, hatte er schon mit der Planung begonnen, als man noch nirgends etwas von besagtem Jahr hören konnte. Und so stürzte er sich in die Vorbereitungen.

Die Idee war bald geboren, aber daß die Durchführung so viel Zeit in Anspruch nehmen sollte, hätte er nicht für möglich gehalten. Klar, daß er niemandem von seinem Plan erzählte., diese Idee sollte ihm keiner wegschnappen, nicht so wie damals, im Türkenjahr, als er schon einen echten und hinreißend freundlichen Sultan engagiert hatte, der vor seinem Zelt ein ganzes Jahr Türkischen Honig verkaufen hätte sollen. Die Konkurrenz hatte ihm den Türken, diesen Ausbund an Illoyalität und Hinterfotzigkeit, durch ein exorbitant übersteigertes Lockangebot abgeworben und damit den Vogel abgeschossen. Aberdiesmal nicht, mit ihm nicht! Er ließ sich seinen Mozart

nicht wegnehmen, ihn nicht! Es bedurfte also der strengsten Geheimhaltung, und für die würde er, Zarmot, schon sorgen! So ein Jahr kam nicht alle Tage und er wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen. Noch hatte er genug Zeit, eineinhalb Jahre, die mußten reichen. Die Idee war simpel und naheliegend, also was sollte schiefgehen.

365 Mozartkugeln, für jeden Tag eine, wollte er kunstvoll zu einer Pyramide auftürmen, an deren Spitze eine einzige Kugel zu liegen kam. Das Ganze sollte natürlich weithin sichtbar im Geschäft aufgebaut sein, daher wollte er Attrappen verwenden, die weit größer als die echten Mozartkugeln und hohl sein sollten. Die Pyramide mußte so errichtet werden, daß sie nicht einstürzen konnte, wenn man eine Kugel nach der anderen wegnahm. Und nun kam der Clou: in jeder Mozartkugelattrappe sollte ein Kärtchen mit einer Frage über Mozart und alles, was mit ihm zusammenhing, eingeschlossen sein. Am Morgen jeden Tages würde er, Zarmot, eine Kugel, an Samstagen und vor Feiertagen zwei, oder eine der Anzahl der Feiertage entsprechende Menge von Kugeln öffnen. Die darin eingeschlossene Frage würde er dann im Rahmen einer kleinen Zeremonie vorlesen. Sodann würde diese Frage über der Pyramide in Leuchtschrift erscheinen, um von jedem Besucher gelesen werden zu können. Derjenige, der die Frage als erster

richtig beantworten würde, bekäme einen angemessenen Preis, den Zarmot mit der Geschäftsleitung erst aushandeln mußte.

Da niemand von Zarmots Idee erfahren durfte, mußte er notgedrungen die Fragen auch selber zusammenstellen. Es kam ihm gar nicht in den Sinn, daß dies Schwierigkeiten bereiten könnte. Er hatte sich doch schon oft mit Mozart beschäftigt. Zauberflöte und so, Requiem und die Geschichte mit dem unbekannten Auftraggeber, na da mußten sich doch genug Fragen finden lassen. Und dann der Tod, der mysteriöse. Zarmot las und las. Immer neue Quellen erschlossen sich ihm, immer mehr Material sammelte sich an. Zarmot hatte einen Raum seiner Wohnung bereits in ein „Mozart-Büro" umgewidmet. Die Wände waren mit Bücherregalen verstellt, alles Mozart, versteht sich. Auf einem Schreibtisch türmten sich Kopien von Dokumenten, Bilder, Notenfaksimile. Zarmot hatte auch eine Kartei angelegt. Er wollte die Übersicht nicht verlieren. Seine Nachforschungen beschränkten sich nicht mehr allein auf das Studium von Büchern und Schriften, immer öfter besuchte er auch die Orte, an denen das Genie gewirkt hatte.

Mit der Zeit vergaß er ganz, warum er seine Studien überhaupt anstellte. Das Thema hatte ihn so gefesselt, daß die Forschung zum Hauptinhalt seines Lebens wurde. Zwar hatte er noch

immer den Posten des Filialleiters inne, aber man munkelte schon über seine Ablöse, weil er seinen Pflichten nicht mehr in dem Maß nachkam, wie es für das Geschäft notwendig gewesen wäre. Je weiter er in seiner Mozartforschung vorankam, desto mehr vernachlässigte er die Arbeit in seinem bisherigen Beruf. Durch sein Geschick und langjährige Erfahrung konnte er die drohende Kündigung zwar noch aufschieben, ganz verhindern jedoch nicht. So kam der Tag, an dem er sein Büro in der Filiale räumen mußte und sein Karriere im kaufmännischen Bereich beendet war.

Nun erst besann er sich des ursprünglichen Antriebes für seine Forschungsarbeit und merkte, daß das „Mozart-Jahr" längst vorüber war. Aber das störte ihn nicht, er hatte nämlich im Laufe seiner Studien eine sensationelle Entdeckung gemacht, die er auch unwiderlegbar beweisen konnte: Mozart war nicht, wie allgemein behauptet, 1791 gestorben, sondern hatte seinen Tod fingiert, um in Spanien unerkannt und unbeschwert ein neues Leben beginnen zu können. Zwar hatte er nie wieder zur Feder gegriffen, aber auch hier wurde er berühmt und starb im Alten von 47 Jahren als gefeierter Matador, der sich nach einer großen Anzahl siegreicher Kämpfe zur Ruhe gesetzt hatte.

Diese Tatsache wäre wohl nie ans Licht der Öffentlichkeit gelangt, hätte man nicht damals, 1991, dieses „Mozart-Jahr" in Österreich gefeiert.

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