Bilder der menschlichen Seele

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Dem „Portrait“ widmet sich eine Ausstellung in der Kunsthalle Wien. In fotografischen Serien nähert sich die Schau diesem Genre. Deutlich wird dabei die Waghalsigkeit des hehren Unterfangens, das menschliche Gesicht mit den Mitteln der Kunst einzufangen.

Seit Menschengedenken gilt das Gesicht als jener Teil eines Gegenübers, der ihr oder ihm Unverwechselbarkeit verleiht. Das Gesicht zeigt die Seele des Menschen, lautet die uralte Weisheit; will man die anderen erkennen, durchblicken, dann gilt es, die Aufmerksamkeit auf das Gesicht zu lenken.

Das mit den Mitteln der Kunst eingefangene Gesicht, das Portrait, meint dementsprechend die Darstellung einer Person, die für sich betrachtet wird. Das Portrait möchte alles Beiläufige, alles zufällig Hinzukommende, alle aufgesetzten, vielleicht auch bewusst vorgetäuschten Äußerlichkeiten ausklammern und den Menschen so zeigen, wie er oder sie wirklich ist. Ein Anspruch, der einerseits das Portrait zu einem derart zentralen künstlerischen Genre machte, dass im Französischen der Ausdruck Portrait synonym für Malerei überhaupt verwendet wurde, andererseits aber auch die Waghalsigkeit einer derart hehren Unternehmung vor Augen stellt – wie dies die Zusammenstellung von fotografischen Portraitserien in der Kunsthalle Wien derzeit thematisiert.

Familie und Land

Ähnlichkeit, jenes magische Stichwort, um ein Portrait erst zu einem Portrait zu machen, wird erst durch das Portrait für das menschliche Auge erfunden. Eine seltsame Abfolge, bei der dasjenige, was als Ausweis für eine gelungene Sache eigentlich zuvor als Begriff gesetzt wird, doch erst im Nachhinein durch die bereits vollendete Sache möglich wird. Einmal mehr überholt das Bild beinahe unmerklich die Allmacht der Begriffe, wie auch Sally Mann über ihre berühmte Portraitserie ihrer drei Kinder zu berichten weiß: „Man hat mich einmal gefragt, worum es in meiner Arbeit geht, und bevor mir noch etwas Kunstjargonmäßiges und Schlaues einfiel, befahl mein Eidechsengehirn meiner Zunge, ‚die Familie und das Land‘ zu sagen. Sobald das heraußen war, versuchte ich es mit Tiefgründigkeiten aufzumotzen, ließ es dann aber bleiben, weil mir bewusst wurde, dass es zumindest für mich nichts Wichtigeres gab.“ Damit ist auch schon mitgesagt, dass es neben dem visuellen Tagebuch, dem auch Nan Goldin ihre Aufmerksamkeit schenkt, offensichtlich auch noch andere Strategien für das fotografische Portrait gibt.

Das Portrait klappt immer einen intimen Bereich einer Person in die allseitige Sichtbarkeit. Bei manchen Arbeiten, wie etwa jenen von Peter Hujar, wird dieser Prozess bewusst gepflegt und gehegt, bei anderen, wie Beat Streuli, wird er invers praktiziert. Streuli fotografiert Menschen auf belebten Straßen mit einem mächtigen Teleobjektiv und zeigt ihr intimes Verhalten, weil sie sich in der Masse unbeobachtet fühlen.

Abgründe des Banalen

Robert Mapplethorpe seinerseits versucht in seiner formalistischen Studiofotografie jegliche Zufälligkeit auszuschalten und zeigt Menschen, die antiken Statuen mit zeitgenössischen Schönheitsvorgaben ähneln. Diese Strategie lässt sich in Zeiten der einfachen digitalen Retusche noch weitertreiben, so dass Valérie Belins Portraitierte dermaßen ins Überrealistische gesteigert wirken, dass sie weniger Einzelportraits sind denn Typologien.

Ganz anders Strategien, die sich von einem dokumentarischen Anspruch leiten lassen. Roger Ballen lässt gesellschaftliche Außenseiter in unprätentiösen Posen vor der Kamera agieren, die unspektakuläre Art der Darstellung gewährt dabei einen Blick in die Abgründe des Banalen, gerade weil er dieser Alltäglichkeit mit einer gehörigen Portion Ehrfurcht begegnet. Ähnlich dokumentarisch geht auch Tina Barney vor, wenngleich sie die Oberschicht an der amerikanischen Ostküste vor der Linse hat. Als selbst Mitdargestellte ist sie darüber hinaus doppelt in den fotografischen Akt involviert.

Eine ganz andere Welt dokumentiert Bernhard Fuchs. Er transferiert in konzentrierten Ganzkörperportraits die bäuerliche Welt aus Haslach an der Mühl in Oberösterreich in die Kunsthalle, nunmehr eingefangen durch einen distanzierten Blick des Stadtbewohners. Viele dieser Portraits lassen die Betrachter zu jenen Erfahrungen zurückkehren, die uns alle magisch anziehen, zu Blicken in unserer Erinnerungswelt, die weder den Anspruch einer Frage noch einer Antwort erheben, sondern einfach zu einem stummen Innehalten anregen. Schließlich zeigt das Portrait den Menschen, wie er ist. Dermaßen vielfältig, dass er sich dem Begriff verweigert.

Das Portrait. Fotografie als Bühne

Von Robert Mapplethorpe bis Nan Goldin

Kunsthalle Wien

Museumsplatz 1, 1070 Wien

bis 18. 10., tägl. 10–19, Do 10–22 Uhr

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