DAS EIGENE LEBEN ERFINDEN

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FELICITAS HOPPE ERZÄHLT IHRE LEBENSGESCHICHTE: "NACHWEISLICH FALSCH, WEIL ERFUNDEN."

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FELICITAS HOPPE ERZÄHLT IHRE LEBENSGESCHICHTE: "NACHWEISLICH FALSCH, WEIL ERFUNDEN."

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Nicht nur Thomas Crown, auch Felicitas Hoppe ist nicht zu fassen. Dabei haben die beiden eigentlich wenig miteinander zu tun, oder vielleicht doch: Thomas Crown ist eine Figur, gespielt von Steve McQueen, in einem Kultfilm des symbolischen Jahres 1968. Felicitas Hoppe ist eine Figur in einem - das kann man jetzt schon sagen - Kultroman des Jahres 2012, geschrieben von Felicitas Hoppe. Thomas Crown beraubt Banken, das tut Felicitas Hoppe nicht (jedenfalls ist nichts davon bekannt). Felicitas Hoppe beraubt ihre Geschichte um das meiste, was wir kennen oder erkennen könnten, und beschenkt uns zugleich mit einer märchenhaftironischen Lebensgeschichte.

Hoppe mal drei

Obwohl es uns fremd ist, weil wir so etwas noch nicht kennen, ist eigentlich alles ganz einfach: Felicitas Hoppe ist die Autorin, Felicitas Hoppe heißt die Erzählerin und Felicitas Hoppe heißt die Hauptfigur, doch sind alle drei voneinander zu unterscheiden. Die Autorin Hoppe (von nun an Hoppe 1) ist in Hameln geboren und lebt in Berlin, manchmal hält sie sich längere Zeit in den USA auf. Die Erzählerin Hoppe (Hoppe 2) ist offenbar ihre Biografin, mehr erfahren wir nicht über sie. Die Figur Hoppe (Hoppe 3) ist in Brantford, Ontario (Kanada) aufgewachsen, neben der Schule hat sie ihre Zeit vor allem im Eishockeyring verbracht. Ihr Vater, der Patentagent Karl Hoppe, ist mit ihr, als sie 13 war, nach Adelaide, South Australia (Australien), gezogen. Von der polnischen Mutter Maria Siedlatzek erfahren wir wenig. Als 14-Jährige verliebt Felicitas sich in den blinden, ein Jahr älteren Jungen Joey Blyton, später reist sie mit ihrem Freund Viktor Seppelt in die USA, dort trennen sich die beiden und nach unsteten Wanderjahren, auf der Suche nach dem verschwundenen Vater, beginnt die Autorin als Lehrbeauftragte an einem College. Dort macht sie, mit einer Arbeit über Till Eulenspiegel, ihren Master of Arts und verschwindet selbst. Der ironisch zu lesende Romanschluss: "Eine Legende, was sonst. To be continued. (Fortsetzung folgt /fh)".

Das Handlungsskelett verrät freilich nicht viel über die mit zahlreichen Erlebnissen und skurrilen Figuren angereicherte Lebensgeschichte von "fh". Dazu kommt: Wichtiger als das Was ist das Wie der Erzählung, der in jeder nur denkbaren Weise pointenreiche Stil. Auf zahlreiche Texte der Weltliteratur wird angespielt: Wie Nabokov hüpft Hoppe gern mit Schmetterlingsnetz durch die Natur, wie Nabokovs Figur Lolita hat Hoppe einen älteren Verehrer, der sich aber nicht traut, sie zu verführen, wohl auch deshalb, weil Hoppe keine Lolita ist und immer genau zu wissen scheint, was sie will. Das Roadmovie durch die USA mit Unterricht an einem College gibt es auch, aber wohl ohne Liebhaber -zumindest konnte Hoppe 2 keinen solchen ermitteln. "Pinocchio" wird als "Lieblingsbuch" von Hoppe 3 bezeichnet, Figuren und Schauplätze werden adaptiert - Las Vegas beispielsweise wird zum Spielzeugland. Lindgrens "Pippi Langstrumpf" kommt ebenso vor wie Hauffs "Wirtshaus im Spessart". Rahmenbildend ist allerdings die Geschichte vom Rattenfänger von Hameln. Wie die Kinder dem Spiel der Flöte folgen die Leser dem kunstvollen Stil seiner legitimen Nachfolgerin in der Literatur (Hoppe 1 erhielt 2010 den Rattenfänger-Literaturpreis ihrer Geburtsstadt).

Stimmen der Kritiker

Hoppe 1 erfindet sich ihre eigenen Kritiker, von denen Hoppe 2 Kostproben bietet. Vor allem der "Kulturwissenschaftler" Kai Rost meldet sich immer wieder mäkelnd zu Wort. Viktor Seppelt sekundiert: "Neigung zu Schnitzeljagden. Liebt es, Spuren zu legen, um sie gleich darauf wieder zu verwischen. Hase und Igel in einer Person. Präsenz und Abwesenheit." Wer es mit Seppelt und mit Karl Hoppe hält und meint: "Wie kann man freiwillig lesen, was nachweislich falsch, weil erfunden ist?", der sollte um Hoppes "Hoppe" einen Bogen machen. Für jene aber, die meinen, dass gerade das Erfundene dazu beitragen kann, das (vielleicht gar nicht so) Reale anders und genauer zu sehen, führt kein Weg an "Hoppe" vorbei.

Hoppe Roman von Felicitas Hoppe S. Fischer 2012 330 S., geb., € 20,60

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