Am 27. Oktober 2012 wird Felicitas Hoppe in Darmstadt den Georg-Büchner-Preis erhalten. Mit ihr wird zurecht eine Autorin ausgezeichnet, deren Prosa in der deutschsprachigen Literatur ihresgleichen sucht.
"Weltweit, egal welcher Zeitung, hat Hoppe immer dieselbe Geschichte erzählt: wie sie als Ratte mit Schnurrbart und Schwanz versehen, Wurst in der Linken, Brot in der Rechten, den Marktplatz ihrer Heimatstadt Hameln betritt, um sich im Freilichttheater unter der Führung des Rattenfängers vor Touristen aus aller Welt ein Taschengeld zu verdienen.“ So beginnt einer der außergewöhnlichsten Romane der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur - freilich sind alle Romane dieser Autorin auf ihre Weise extrem ungewöhnlich. Doch nicht weniger rätselhaft als die Romane der Autorin ist das, was die Literaturkritik bisher aus ihnen macht.
Kein Reiseroman, kein historischer Roman
Als die Darmstädter Jury ihre Entscheidung bekannt gab, der 1960 geborenen Felicitas Hoppe den diesjährigen Georg-Büchner-Preis und damit den wichtigsten deutschsprachigen Literaturpreis zuzuerkennen, war die Aufregung groß. Seit sie 1996 mit dem Erzählungen-Band "Picknick der Friseure“ debütierte und dafür den "Aspekte“-Literaturpreis erhielt, hat sie eine mit jeder neuen Veröffentlichung wachsende Fangemeinde unter den Literaturkritikern, doch die Zahl derjenigen, die mit ihrer Prosa nichts anfangen können und dies offen mitteilen, ist auch nicht gerade klein. Was ist nicht schon alles über Hoppe geschrieben worden, ihr eingangs zitierter neuer Roman wurde in einer österreichischen Zeitung sogar als "artige Häkeldeckchenprosa“ bezeichnet, was weder fair gegenüber Hoppe im Besonderen noch gegenüber Frauen im Allgemeinen ist.
Doch trotz aller Anstrengungen der Kritiker - die Autorin ist ihnen immer mindestens einen Schritt voraus. Was sie auch einwenden mögen, es ist durch das Buch, das sie kritisieren, bereits ironisch vorweggenommen und konzeptionell widerlegt. Der erste Roman "Pigafetta“ (1999) sei gar kein Reiseroman, hieß es - dabei wollte er auch keiner sein. Hoppe ließ ihre Protagonistin, die auf einem Containerfrachtschiff die Erde umrundete, selbst an den exotischsten Orten nicht einmal an Land gehen, gab es doch auch sonst genug zu erzählen. 2003, mit der Veröffentlichung des Romans "Paradiese, Übersee“, wurde es dann noch schwieriger - was sollte man von einem Text halten, in dem ein Ritter und ein Pauschalist durch Indien reisen, Figuren der Zwang überkommt, Tiger weihnachtlich zu schmücken, eine Straße von Straßburg nach Kalkutta führt, ein Berbiolettenfell gesucht wird und ein Erdbeermuseum um die Gunst der Touristen konkurriert? Das war entschieden zuviel für das Feuilleton und die Spekulationen, was das denn alles zu bedeuten haben könnte, sorgten nicht für Klärung, sondern für größere Verwirrung. Doch auch von vielen, die sich keinen Reim auf den Inhalt machen konnten, wurde der Hoppeschen Sprache und Form das allerbeste Zeugnis ausgestellt.
"Johanna“ sei gar kein historischer Roman über die titelgebende Jungfrau von Orléans, hieß es dann 2006; dabei handelt der Roman gerade von der Unmöglichkeit, so etwas wie einen historischen Roman überhaupt schreiben zu können. Und der im vergangenen Frühjahr erschienene Roman "Hoppe“ enttäuschte nicht nur mögliche Erwartungen an eine Autobiografie, sondern auch an eine erfundene Selbst-Biografie, wobei die Kritiker zugaben, dass sie einfach und linear erzählte, zur Identifikation einladende Prosa mögen, die das Lesen leicht macht und das Nachdenken nicht allzu sehr anstrengt - doch da sind sie bei Hoppe nun wirklich an der falschen Adresse. Die Autorin drehte ihnen im Roman selbst eine Nase, indem sie zwei exemplarische Kritiker erfand, Kai Rost und Raimar Strat, die nichts anderes können als ihr Unverständnis über Hoppes Prosa zu demonstrieren und falsche Fährten zu legen.
Was da denn schwierig zu verstehen sei, es sei alles doch ganz einfach, wird Hoppe selbst nicht müde zu betonen. Die Autorin aus Hameln (2010 erhielt sie den Rattenfänger-Literaturpreis ihrer Heimatstadt) will niemand aufs Glatteis führen, sie hat oft genug Lektürehinweise gegeben. So hat sie immer wieder betont, wie sehr sie Klassiker der Kinderliteratur oder Gattungen wie Sage und Märchen schätzt, und in den Augsburger Poetik-Vorlesungen "Sieben Schätze“ von 2009 hat sie festgestellt: "Ich neige, Sie merken es schon, zu der leichtfertigen Behauptung, das Märchen sei die höchste, weil einfachste Form realistischer Literatur.“ Es ist also wohl eher die Perspektive, aus der man die Romane liest, die der Feinjustierung bedarf.
"Iwein Löwenritter“ von 2008 hatte als Nacherzählung des "Iwein“ von Hartmann von Aue aus dem Jahr 1200 die Lizenz zum Wunderbaren, obwohl es keine Nacherzählung im klassischen Sinn ist, sondern vielmehr eine Neubearbeitung nach Hoppeschen Prinzipien. Die Veränderungen, die Hoppe am Stoff vornimmt, sind vielfältig, so sind die Frauen die eigentlichen Helden, das Tiere hütende Ungeheuer wird zum "Mann in Gestalt eines Ungeheuers“ und der Löwe, dem Iwein im Kampf gegen den Drachen hilft, ist nicht nur der treue Begleiter, sondern sogar, das ist die Pointe des Schlusses, der Erzähler der ganzen Geschichte.
Fabelhaft und wunderbar
So fabelhaft und wunderbar wie in "Iwein Löwenritter“ geht es aber in allen Texten Hoppes zu, die damit etablierte Grenzen wie zwischen Jugend- und Erwachsenenliteratur, mittelalterlichen Epen und zeitgenössischen Romanen, exotischen Gegenden und heimischen Gefilden nicht etwa nur ignorieren oder vielleicht auch sprengen, sondern vielmehr damit spielen, um neue Blicke auf das zu gewinnen, was uns, eben nur scheinbar, allzu bekannt vorkommt.
Für die Freunde Hoppescher Prosa ist daher nicht nur die Veröffentlichung jedes neuen Buches aus ihrer Feder ein Fest, sondern auch die Rezeption im Feuilleton, einschließlich der negativen, weil sie in ihrer oft ganz offen ausgestellten Ignoranz unfreiwillig bestätigt, was die Fans immer schon wussten: So eine sprachsichere, fantasiereiche, fabulierfreudige, originelle Prosa sucht in der deutschsprachigen Literatur ihresgleichen.
Hoppe
Roman von Felicitas Hoppe S. Fischer 2012
330 S., geb.., e 20,60